Es war ein schwüler Sommertag in der Bronx, als Kwame Onwuachi das hölzerne Schneidebrett seiner Mutter zerbrach. Ein unkontrollierter Wutausbruch, er war zehn Jahre alt: „Ohne es zu ahnen, gab ich, im Bruchteil einer Sekunde, meinem Schicksal eine neue Wendung.“ Für seine alleinerziehende Mutter war es der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Als Köchin schuftete sie Nachtschichten, um ihren Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen. Das Schneidebrett war ihr liebstesKüchentool, der Verlust war zu viel für sie. Dazu die drückende Hitze in der winzigen Wohnung, die ständige Überanstrengung, die ewigen Kämpfe mit dem rebellischen Sohn und der Teenagertochter. Sie traf eine Entscheidung: Ihr Sohn würde eine Zeit lang beiseinem Großvater auf dem Landleben. In Nigeria. Von den Straßen der Bronx auf einen Bauernhof im Nigerdelta.
„Es war ein extremer Cut“, weiß er heute, „aber er hat mir das Leben gerettet.“ Drei Jahre lang taucht er tief in die Herkunft seiner Familie ein, verinnerlicht ihre Traditionen und Bräuche. Besonders faszinieren ihn die lokalen Märkte mit ihren überbordenden Auslagen an getrocknetem Fisch und Shrimps, an Okraschoten und Yamswurzeln, an lokalen Chilisorten, pfeffrigen Uziza-Blättern und fermentierten Dawadawa-Bohnen. Schon daheim in New York hatte er mit fünf Jahren auf einem Küchenstuhl am Herd gestanden und seiner Mutter geholfen, Scrambled Eggs zuzubereiten. Jetzt lernt er von den Frauen im Dorf Afrikas Küchengeheimnisse kennen. Mit ihnen bereitet er Jollof-Reis zu, ein Lieblingsgerichtder West African Cuisine, aus Reis, Tomaten, Zwiebeln, Piment,Scotch-Bonnet-Chili und anderen Gewürzen. Oder Egusi, das nigerianische Nationalgericht, eine Gemüsesuppe, die mit Habanero-Chili undgemahlenen Wassermelonenkernen (Egusi) angereichert wird. „Afrikahat mir Identität gegeben“, sagt er. „Im Leben und in der Küche.“
Heute wird der 35-Jährige für sein Restaurant „Tatiana“ im New Yorker Lincoln Center gefeiert. Er gilt als eine der wichtigsten kulinarischen Stimmen seiner Generation. Pete Wells, der langjährige Restaurantkritikerder „New York Times“, setzte ihn im Frühjahr auf Platz eins seiner Liste der „100 Besten Restaurants in New York“. Onwuachi gilt nicht nur als großes Talent am Herd, sondern auch als wichtiger Vertreter der schwarzen Community in der Gastro-Szene. 2023 wurde er für sein Engagement mit dem prestigeträchtigen „World’s 50 Best Special Award“ ausgezeichnet. Als Gast im „Tatiana“, benannt nach seiner älteren Schwester, muss man von all dem nichts mitbekommen. Man kann sich ganz dem Genuss hingeben – wenn man denn einen Platz bekommt. Das Restaurant in der modernistischen David Geffen Hall ist, wie viele renommierte Adressen in New York, notorisch ausgebucht. Der Mix aus Einflüssen der West African Cuisine und karibisch-kreolischen Aromen (von der Seiteseiner Mutter) trifft einen Nerv
Die Stimmung im raffiniert beleuchteten Speisesaal ist schon am frühen Abend lebhaft, eher nicht der Ort für intime Gespräche. Am besten, man startet mit mehreren Vorspeisen zum Teilen ins Menü: knusprig gebratene Okraschoten mit fruchtig-süßer Honig-Senf-Sauce; ein Salatkopf mit getrocknetem und gehobeltem Kabeljau, dazu die an Minze erinnernden Aromen von Perilla (das die Japaner Shiso nennen); Teigtaschen, mit Krebsfleisch und Ochsenschwanz gefüllt, dazu süßliche Peking-Jus. „Im ,Tatiana‘ geht es nicht nur ums Essen“, sagt der Chef.„Sondern auch um Kultur, Identität und Gemeinschaft. Jedes Gericht erzählt eine Geschichte aus meinem Leben.“ Allen voran natürlich der Signature Dish Mom Duke’s Shrimp, Garnelen mit aromenstarker kreolischer Sauce, nach einem Rezept seiner Mutter: „Sie ist die größte Inspiration für mich.“ In seiner Autobiografie, „Notes from a Young Black Chef“, die derzeit verfilmt wird, berichtet er von den Kämpfen, die er als junger Schwarzer in einer von weißen Kollegen dominierten Branche auszufechten hatte. Aber auch nach seiner Rückkehr aus Afrika läuft nicht alles reibungslos. Er schließt sich einer Gang an, dealt mit Drogen, heuert eine Zeit lang auf einem Ölreinigungsschiff an.
Und wieder ist es die Küche, die ihn rettet: Er schreibt sich im renommierten Culinary Institute of America ein, und von da an geht es bergauf. Schon als junger Koch arbeitet er in einigen der berühmtesten Küchen New Yorks, darunter Thomas Kellers legendäres „Per Se“ und Daniel Humms „Eleven Madison Park“. Er nimmt an der TV-Show „Top Chef“ teil und wird so einem größeren Publikum bekannt. Sein erstes eigenes Restaurantprojekt „Shaw Bijou“ in Washington übersteht gerade mal drei Monate. Aber für das zweite, „Kithand Kin“, wird er von der renommierten amerikanischen James Beard Foundation 2019 als „Rising Star Chef of the Year“ ausgezeichnet. Und dann kommt der große Durchbruch, mit „Tatiana“.
Dem großen Erfolg in New York schließt sich das nächste Projekt an: Im September eröffnet Onwuachi in Washington das „Dogon“, benannt nach einer westafrikanischen Volksgruppe, inspiriert von der Geschichte und Kultur der afrikanischen Diaspora. Mehr noch als in New York prägt stilvoll interpretiertes afrikanisches Design den Look; das Menü kombiniert traditionelle Zutaten und Kochtechniken mit modernen Einflüssen. Auf der Karte: Onwuachis Piri-Piri-Salat mit Moschus-Kürbis, Gurke, Trauben, geröstetem Quinoa und scharfem südafrikanischem Dressing. Oder seine „Seafood Boil“ mit King Crab, Jakobsmuscheln, Schwarzbarsch, An douille Sausage und intensiver Butter-Knoblauch-Sauce. Und, als Hommage an die äthiopische Community in Washington: mit der scharfen Gewürzmischung Berbere gebratenes Huhn auf Linsensauce, dazu Jollof-Reis und frischer Kräutersalat. Onwuachi pendelt zwischen New York und Washington, bekocht donnerstags einen „Black Excellence Brunch“ im Weißen Haus, freitags in New York den Geburtstag von Jay-Zs Mutter. Auch für 2025 stehen schon zahlreiche Termine im Kalender: Ein Kochbuch ist in Arbeit, er wird die Met Gala bekochen ebenso wie das Opening der Ausstellung „Superfine: Tailoring Black Style“ im Metropolitan Museum.
Sieht ganz so aus, als ob er einen Lauf hat. Was wünscht er sich noch? „Dass meine Mutter eines Abends als Überraschungsgast in der Türe steht.“
TATIANA 10 Lincoln Center Plaza,New York, Di.–Sa. abends, T. +1.212.875 52 22, tatiananyc.com
DogoN 1330 Maryland Ave SW, Washington, D.C., Di.–Sa.abends, T. +1.844.860 27 41, dogondc.com
Es war ein schwüler Sommertag in der Bronx, als Kwame Onwuachi das hölzerne Schneidebrett seiner Mutter zerbrach. Ein unkontrollierter Wutausbruch, er war zehn Jahre alt: „Ohne es zu ahnen, gab ich, im Bruchteil einer Sekunde, meinem Schicksal eine neue Wendung.“ Für seine alleinerziehende Mutter war es der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Als Köchin schuftete sie Nachtschichten, um ihren Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen. Das Schneidebrett war ihr liebstesKüchentool, der Verlust war zu viel für sie. Dazu die drückende Hitze in der winzigen Wohnung, die ständige Überanstrengung, die ewigen Kämpfe mit dem rebellischen Sohn und der Teenagertochter. Sie traf eine Entscheidung: Ihr Sohn würde eine Zeit lang beiseinem Großvater auf dem Landleben. In Nigeria. Von den Straßen der Bronx auf einen Bauernhof im Nigerdelta.
„Es war ein extremer Cut“, weiß er heute, „aber er hat mir das Leben gerettet.“ Drei Jahre lang taucht er tief in die Herkunft seiner Familie ein, verinnerlicht ihre Traditionen und Bräuche. Besonders faszinieren ihn die lokalen Märkte mit ihren überbordenden Auslagen an getrocknetem Fisch und Shrimps, an Okraschoten und Yamswurzeln, an lokalen Chilisorten, pfeffrigen Uziza-Blättern und fermentierten Dawadawa-Bohnen. Schon daheim in New York hatte er mit fünf Jahren auf einem Küchenstuhl am Herd gestanden und seiner Mutter geholfen, Scrambled Eggs zuzubereiten. Jetzt lernt er von den Frauen im Dorf Afrikas Küchengeheimnisse kennen. Mit ihnen bereitet er Jollof-Reis zu, ein Lieblingsgerichtder West African Cuisine, aus Reis, Tomaten, Zwiebeln, Piment,Scotch-Bonnet-Chili und anderen Gewürzen. Oder Egusi, das nigerianische Nationalgericht, eine Gemüsesuppe, die mit Habanero-Chili undgemahlenen Wassermelonenkernen (Egusi) angereichert wird. „Afrikahat mir Identität gegeben“, sagt er. „Im Leben und in der Küche.“
Heute wird der 35-Jährige für sein Restaurant „Tatiana“ im New Yorker Lincoln Center gefeiert. Er gilt als eine der wichtigsten kulinarischen Stimmen seiner Generation. Pete Wells, der langjährige Restaurantkritikerder „New York Times“, setzte ihn im Frühjahr auf Platz eins seiner Liste der „100 Besten Restaurants in New York“. Onwuachi gilt nicht nur als großes Talent am Herd, sondern auch als wichtiger Vertreter der schwarzen Community in der Gastro-Szene. 2023 wurde er für sein Engagement mit dem prestigeträchtigen „World’s 50 Best Special Award“ ausgezeichnet. Als Gast im „Tatiana“, benannt nach seiner älteren Schwester, muss man von all dem nichts mitbekommen. Man kann sich ganz dem Genuss hingeben – wenn man denn einen Platz bekommt. Das Restaurant in der modernistischen David Geffen Hall ist, wie viele renommierte Adressen in New York, notorisch ausgebucht. Der Mix aus Einflüssen der West African Cuisine und karibisch-kreolischen Aromen (von der Seiteseiner Mutter) trifft einen Nerv
Die Stimmung im raffiniert beleuchteten Speisesaal ist schon am frühen Abend lebhaft, eher nicht der Ort für intime Gespräche. Am besten, man startet mit mehreren Vorspeisen zum Teilen ins Menü: knusprig gebratene Okraschoten mit fruchtig-süßer Honig-Senf-Sauce; ein Salatkopf mit getrocknetem und gehobeltem Kabeljau, dazu die an Minze erinnernden Aromen von Perilla (das die Japaner Shiso nennen); Teigtaschen, mit Krebsfleisch und Ochsenschwanz gefüllt, dazu süßliche Peking-Jus. „Im ,Tatiana‘ geht es nicht nur ums Essen“, sagt der Chef.„Sondern auch um Kultur, Identität und Gemeinschaft. Jedes Gericht erzählt eine Geschichte aus meinem Leben.“ Allen voran natürlich der Signature Dish Mom Duke’s Shrimp, Garnelen mit aromenstarker kreolischer Sauce, nach einem Rezept seiner Mutter: „Sie ist die größte Inspiration für mich.“ In seiner Autobiografie, „Notes from a Young Black Chef“, die derzeit verfilmt wird, berichtet er von den Kämpfen, die er als junger Schwarzer in einer von weißen Kollegen dominierten Branche auszufechten hatte. Aber auch nach seiner Rückkehr aus Afrika läuft nicht alles reibungslos. Er schließt sich einer Gang an, dealt mit Drogen, heuert eine Zeit lang auf einem Ölreinigungsschiff an.
Und wieder ist es die Küche, die ihn rettet: Er schreibt sich im renommierten Culinary Institute of America ein, und von da an geht es bergauf. Schon als junger Koch arbeitet er in einigen der berühmtesten Küchen New Yorks, darunter Thomas Kellers legendäres „Per Se“ und Daniel Humms „Eleven Madison Park“. Er nimmt an der TV-Show „Top Chef“ teil und wird so einem größeren Publikum bekannt. Sein erstes eigenes Restaurantprojekt „Shaw Bijou“ in Washington übersteht gerade mal drei Monate. Aber für das zweite, „Kithand Kin“, wird er von der renommierten amerikanischen James Beard Foundation 2019 als „Rising Star Chef of the Year“ ausgezeichnet. Und dann kommt der große Durchbruch, mit „Tatiana“.
Dem großen Erfolg in New York schließt sich das nächste Projekt an: Im September eröffnet Onwuachi in Washington das „Dogon“, benannt nach einer westafrikanischen Volksgruppe, inspiriert von der Geschichte und Kultur der afrikanischen Diaspora. Mehr noch als in New York prägt stilvoll interpretiertes afrikanisches Design den Look; das Menü kombiniert traditionelle Zutaten und Kochtechniken mit modernen Einflüssen. Auf der Karte: Onwuachis Piri-Piri-Salat mit Moschus-Kürbis, Gurke, Trauben, geröstetem Quinoa und scharfem südafrikanischem Dressing. Oder seine „Seafood Boil“ mit King Crab, Jakobsmuscheln, Schwarzbarsch, An douille Sausage und intensiver Butter-Knoblauch-Sauce. Und, als Hommage an die äthiopische Community in Washington: mit der scharfen Gewürzmischung Berbere gebratenes Huhn auf Linsensauce, dazu Jollof-Reis und frischer Kräutersalat. Onwuachi pendelt zwischen New York und Washington, bekocht donnerstags einen „Black Excellence Brunch“ im Weißen Haus, freitags in New York den Geburtstag von Jay-Zs Mutter. Auch für 2025 stehen schon zahlreiche Termine im Kalender: Ein Kochbuch ist in Arbeit, er wird die Met Gala bekochen ebenso wie das Opening der Ausstellung „Superfine: Tailoring Black Style“ im Metropolitan Museum.
Sieht ganz so aus, als ob er einen Lauf hat. Was wünscht er sich noch? „Dass meine Mutter eines Abends als Überraschungsgast in der Türe steht.“
TATIANA 10 Lincoln Center Plaza,New York, Di.–Sa. abends, T. +1.212.875 52 22, tatiananyc.com
DogoN 1330 Maryland Ave SW, Washington, D.C., Di.–Sa.abends, T. +1.844.860 27 41, dogondc.com
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