Seite 2 Hotel to Go
Wie eine Fata Morgana verschwinden dann auch Thierry Teyssier und sein fantastisches Wanderhotel 700 000 Heures, das er in Atins in den Sand gezaubert hatte. So wie er auch schon in einen herrschaftlichen Palast in Apulien oder in ein sorgfältig renoviertes, über 100-jähriges Khmer-Haus in Kambodscha ein- und absolut spurlos wieder ausgezogen ist. „Hotels brauchen heute keine eigenen Mauern mehr, keine Dachterrassenbar oder Suiten mit 100-Quadratmeter-Bädern“, glaubt Thierry Teyssier. Er muss es wissen, denn er hat schon so manche ungewöhnliche Herberge kreiert und mit einer Kombination aus Eleganz und Schlichtheit selbst anspruchsvollste Gäste begeistert.
Dorf, Gemeinschaft Thierry Teyssier hat die Dörfer Atins und Santo Amaro mit Bedacht ausgewählt und die einfachen Strandhäuser mit viel Geschmack und Stilgefühl für seine Gäste hergerichtet.
Zum Beispiel Dar Ahlam, eine 200 Jahre alte marokkanische Kasbah, die er in ein 14-Zimmer-Refugium verwandelte und von hingebungsvoll engagierten Berbern bewirtschaften lässt. Dar Ahlam hat zwar inzwischen einen Pool und ein kerzenbeleuchtetes Spa, aber keine Zimmerschlüssel, keine Bar, keinen Empfang und kein Restaurant, da ohnehin jede Mahlzeit an einem anderen Ort serviert wird. Oder die beiden Pop-up-Hotels im postkartenhübschen brasilianischen Kolonialstädtchen Paraty und in Portugals atemberaubendem Douro-Tal. „Trotz meines Eingriffs bleiben die in traditionellen Wohnhäusern untergebrachten Unterkünfte zutiefst unvollkommen“, sagt Thierry Teyssier, „doch das ist Teil des Plans. Meine Projekte sind für Leute gedacht, die Imperfektion akzeptieren können. Sie wissen, dass die Erfahrungen dadurch echt werden und einzigartige Erinnerungen hinterlassen. Meine Gäste lieben, was vergänglich, selten, nicht wiederholbar ist.“
„Die Welt ist zu reich, um sich mit Reisen zufrieden zu geben, die alle gleich aussehen. Es gibt zu viele verschiedene Orte zu entdecken“
Mit seinem Projekt 700 000 Heures ist er noch einen Schritt weiter gegangen. Es entspricht seiner Vision, Reisende vorübergehend und auf ganz selbstverständliche Art an normalerweise unzugängliche Orte zu bringen. Der Name weist auf die Lebenszeit von ungefähr 700 000 Stunden hin, die einem Menschen normalerweise zur Verfügung stehen. „Jeder von uns trägt selbst die Verantwortung für seine Zeit, seine Begegnungen, seine Reisen“, sagt Teyssier. Seine Idee: Ein Hotel – oder ein Urlaub – ist kein Ort, sondern ein Geisteszustand, eine Aneinanderkettung von Erfahrungen, eine Atempause vom Alltagsleben. Dafür mietet Thierry Teyssier in der Regel einfache, bereits existierende Strukturen, stattet sie mit sehr guten Betten, Warmwasser-Duschen und Klimaanlage aus und hübscht sie mit handgeflochtenen Körben, farbenprächtiger Keramik, hinreißenden Textilien und Installationen von lokalen Künstlern auf. Wo?
„Egal. Aber es muss ein Ort sein, der mich vor Freude tanzen lässt“, sagt er. Und so sitzt man in Atins Strandbar „Lar Doce Mar“ und schaut auf das bunte Segeltreiben der Kite- Surfer, das in der sonst so kargen Landschaft irgendwie belebend wirkt. Ein paar Kinder schlagen am Wasserrand ihre Räder, Fischerboote schlummern in Schräglage im Sand. Wie aus dem Nichts kommt ein junger braun gebrannter Brasilianer in Jeans und offenem Leinenhemd auf einem weißen Pferd den Strand entlanggeritten. Lässig befestigt er den Gaul an einem Pfeiler der Strandhütte und ordert ein Bier. Wäre dies nicht Atins, dann wäre es Hollywood. Oder eine der perfekt inszenierten Überraschungen, die Thierry Teyssier für seine Gäste bereithält. Tatsächlich ist Facundo Menossi ein in Atins hängengebliebener Argentinier, der jetzt Reittouren durch die Dünenlandschaft des Nationalparks anbietet. Lieber unter der aufgehenden oder untergehenden Sonne? Oder vielleicht bei Vollmond? Mit einer Übernachtung in den Dünen?