Italien

Eine Liebe fürs Leben

Und für andere wenigstens einmal im Leben: die Genussreise von Neapel über die legendäre Amalfitana zum Künstlerort Positano, per Schiff weiter zu den strahlenden Perlen des Golfs – Capri, Ischia und Procida – und schließlich nach Palermo

Text: Christine von Pahlen

Jede Taxifahrt in Neapel ist ein wunderbarer Mix von verkehrsbedingten Adrenalinstößen und Eindrücken einer einzigartigen Welt voller Wunder.
Es geht vorbei an sonnengebleichten barocken Palazzi von unsterblichem Charme, an heruntergekommenen Wohnblocks, deren Balkone sich von den bröckelnden Fassaden zu lösen scheinen, durch tunnelschmale Gassen, deren dunkle Häuserzeilen sich durch flatternde Wäscheleinen gegenseitig Halt zu verschaffen suchen. Das Straßengewirr des Centro Storico wirkt wie ein Open-Air-Museum, in der Mitte geteilt von der handtuchschmalen Via dei Tribunali, besser bekannt als Spaccanapoli. Ich bin auf dem Weg in das Sanità-Vergini-Viertel, eine Gegend, die man vor ein paar Jahren besser gemieden hätte und die heute junge Künstler, Intellektuelle und risikofreudige Investoren lockt. Das Taxi hält in der engen Via dei Cristallini vor einer dieser für Neapel typischen Hofeinfahrten.

Einen der Altstadtpaläste verwandelten der Künstler Vincenzo Oste und seine Frau Inès in das Gästehaus „Atelier Inès”

Im Kontrast zum Lärm der Straße wirken der große Garten und die romantische Villa hinter dem schmiedeeisernen Tor wie eine friedliche Oase. Bis in die 1930er-Jahre war dieses Kleinod ein Theater mit Open-Air-Kino, in den 1980er-Jahren Wohnsitz und Atelier des Bildhauers und Poeten Annibale Oste, dessen Lampen, Möbel und andere Designobjekte weltweit gehandelt werden. Heute ist das Ensemble, unter Regie seines Sohnes Vincenzo, ein besonderer Ort der Begegnung. Als Schmuckdesigner und Allround-Künstler nutzt er das Atelier, während die Villa in ein kunstambitioniertes Gästehaus mit neun Suiten verwandelt wurde. Sämtliche Möbel des „Atelier Inès. Arts & Suites“ hat er, inklusive Türklinken und Badezimmerarmaturen, selbst entworfen. Vincenzo und seine aus Tunesien stammende Frau Inès helfen mir, ihr Viertel zu entdecken. Das erst kürzlich eröffnete Madre, ein Modern-Art-Museum mit Werken von Künstlern wie Jeff Koons und Mimmo Paladino, kommt oben auf meine Liste. Es ist nur fünf Fußminuten entfernt und liegt auf dem Weg zum Archäologischen Museum, eines meiner Lieblingsmuseen weltweit. Auf meinem Plan steht auch die Basilica di Santa Maria della Sanità mit einem der ältesten christlichen Friedhöfe im Untergrund. Die benachbarten Katakomben bergen Fresken und Mosaike aus dem 5. und 6. Jahrhundert.

Neapels mürbe Mauern ziert oft eindrucksvolle Street-Art.
Zart koloriertes Häusermeer reicht bis an die Küste.

Im Garten der Villa Inès, den interessante Personen aus der Nachbarschaft zu ihrem zweiten Wohnzimmer erklärt haben, treffe ich Alessandra Calise Martuscelli. Im gleichen Gebäude- Ensemble hat sie vor einem Jahr die Verantwortung für ein Bed & Breakfast übernommen. Die vier Zimmer der Casa d’Anna heißen Capri, Ischia, Procida und Nisida und sind mit Antiquitäten und Kunstobjekten aus ihrem Familienbesitz schön gemacht. Lebenslänglich in Neapel verliebt, begleitet sie mich spontan zu dem nur zwei Minuten entfernten barocken Palazzo Sanfelice, eine von vielen dekadenten Preziosen in unmittelbarer Nähe. Wenige Schritte später stehen wir am Einstieg in das Ipogeo dei Cristallini. Eine provisorische Treppe führt hinunter zu vier jüngst freigelegten griechischen Grabkammern. Für Alessandra und ihren Mann, dem das darüberliegende Haus gehört, ein Herzensprojekt. Am Abend treffe ich in der „Bar Riva“ an der Piazza Vittoria meine Freunde aus Stromboli, Sehnsuchtsort vieler Sommer meines Lebens. Wie üblich zu früh, bitte ich den Kellner um einen Gin & Tonic. Und löse eine Lawine aus, von der man in Bars zwischen Hamburg und München nur träumen kann: Auf meinem Tisch reihen sich Schälchen an Schälchen schönster aperitivi: reisgefüllte Orangenbällchen, Mini-Pizzen, frittierte Zucchini-Blüten, Mozzarella-Tomate-Häppchen, eingelegte Sardellen und, und, und. Mein Auge freut sich an der passeggiata vorbeifl anierender Kleinfamilien mit Kinderwagen, bester Freundinnen in engen Shorts und T-Shirts, gut gelaunter grauhaariger Paare. Der Kellner gibt mir das Gefühl, eine Frau zu sein. Wie sollte es mir nicht schwerfallen, mich von meiner Lieblingsstadt zu trennen.

Doch ich möchte die Amalfitana wiedersehen, die vielleicht schönste Küstenstraße der Welt. Also setze ich mich in den Fond einer Hotel-Limousine und genieße mit klopfendem Herzen jede einzelne mörderische Kurve der Strada Statale 163. Begleitet vom tintenblauen Tyrrhenischen Meer auf der einen und der steil aufragenden Gebirgskette der Monti Lattari auf der anderen Seite, ist sie seit ihrer Einweihung 1850 der einzige Weg, um die Sehnsuchtsziele Ravello, Amalfi , Sorrent oder Positano mit dem Auto zu erreichen. Ich freue mich auf pastellfarbene, an die Felswände geschmiedete Dörfer, Kirchen und Klöster – Letztere häufig zu romantischen Luxusherbergen umfunktioniert –, auf schlichte Bars und familiengeführte Trattorien mit Terrassen über dem Meer, auf denen aufgetischt wird, was auf den Terrassen des Hinterlandes gedeiht: Zucchini und Artischocken, Tomaten und Auberginen, wohlduftende Kräuter und, nicht zu vergessen, die besten Zitronen der Welt. Das Meer ist hier übrigens nicht nur zum Schwimmen da, sondern auch zum Fischen, und die Bauern der Umgebung züchten Ziegen, Schafe, Rinder und Kaninchen. Und ich freue mich vor allem auf das Wiedersehen mit charismatischen Gastgebern und Freunden, die den besonderen Charme dieser Orte zum Leuchten bringen.

Auch wenn Amalfi als ehemalige Seerepublik gewisse Platzvorteile genießt, ist Positano die ungekrönte Königin der Costa Diva. Und ihre Inthronisation war ein Fehlurteil: „Es wäre so gut wie unmöglich, hier als Lady wie aus dem Ei gepellt aufzutreten“, sinnierte John Steinbeck 1953 in „Harper’s Bazaar“, „in luftigem weißen Kleid, federleichten Sandalen, mit verrückt verziertem Florentinerhut.“

Denn seine Reisebeschreibung löste in Amerika einen wahren Run aus. Der Schriftsteller und seine Frau waren damals Gäste des Marchese Paolo Sersale, der sich gerade erst dazu entschlossen hatte, seinen vornehmen Palazzo für zahlende Gäste zu öffnen – „ein First-Class-Hotel“, schreibt Steinbeck, „sauber und kühl, mit weinlaubumrankter Dining-Terrasse. Jedes Zimmer hat seinen eigenen kleinen Balkon mit Blick aufs blaue Meer und die Inseln der Sirenen“. Filmstars, Dollar- Prinzessinen und alle Arten von Lebenskünstlern folgten dem Ruf und ließen sich, statt mit vielen Koffern zu reisen, ihre Urlaubs-Outfi ts lieber vor Ort auf den Leib schneidern. Sommerschönheiten trugen romantische Flatterkleider, bauchfreie Caprihosen und sexy Bikinis. Männer weiße Hosen, Mokassins und pastellfarbene Leinenhemden. Der Mythos Positano zog Kreise. Und ist bis heute spürbar. I ch stelle mein Gepäck in einem Traumzimmer meines Traumhotels Le Sirenuse ab und mache einen Spaziergang. Auch wenn die Zahl der Modeboutiquen und Keramikläden in der Via dei Mulini trotz Pandemie noch gewachsen zu sein scheint, gibt es wenig, an dem mein Auge hängen bleibt. Dafür umso mehr in dem Concept Store direkt gegenüber dem Hotel. Sein erlesenes Angebot bildet, als hätten sie Schönheitssinn und Stilsicherheit mit der Muttermilch aufgesogen, eins zu eins den Lebensstil ab, den das heutige Gastgeber-Ehepaar, Antonio und Carla Sersale, ausstrahlt. Bei jeder meiner Visiten war ich fasziniert von der Schönheit der Frauen, den Komplimenten der Männer, der Leichtigkeit der Tischgespräche, dem köstlichen Essen.

Le Sirenuse in Positano war schon für Steinbeck ein First-Class-Hotel: Balkon mit Blick auf die Li-Galli-Inseln, Antonio und Carla Sersale und der Emporio Sirenuse

Im Le Sirenuse sind es die vielen kleinen Aufmerksamkeiten, die den Unterschied machen. Wie eine gedruckte Ausgabe von Steinbecks Reisebericht neben dem Bett, die hochwertigen Pflegeprodukte von Eau d’Italie in den Bädern oder die hübschen Korbtaschen für den Strand. Für Carla, die selbst Design studiert hat, ist der Emporio Sirenuse eine Herzensangelegenheit. Für die aktuelle, am Look der 60er-Jahre orientierte Sommer-Kollektion hat Hutmacherin Tamra Maher zwei Vintage Straw Hats kreiert, Allegra Hicks entwarf Muster für Badeshorts, Emilia Wickstead lässig gestreifte Kaftane und Pierre Marie Beach Towels und Hawaihemden. Ich entdecke auch wunderschöne Keramik, wie sie zum Beispiel beim Candle-Light-Dinner auf der Terrasse des Sternelokals „La Sponda“ zum Einsatz kommen. Die formschönen Teller passen perfekt zu Riesengarnelen mit Zitrusmarmelade, der vollmundige Weißwein aus der Region funkelt in einem meerblauen Glas, während das Duo aus Mandoline und Gitarre im Hintergrund „Nel blu dipinto di blu“ erklingen lässt. Eine Melodie, die mich am nächsten Morgen auf der hoteleigenen Yacht nach Capri begleitet.

Die Überfahrt ist kurz, aber stürmisch

Kaum gelandet, spüre ich wieder dieses Coming- Home-Gefühl, das ich jedes Mal habe, wenn ich auf die Insel komme. Es sind die Panoramen, die Architektur, die Düfte und – vor allem! – die Menschen, die mir in der Erinnerung wiederbegegnen. Am ersten Abend nach einem Teller Linguine al Limone unter der Pergola von „Da Paolino“ schlendere ich zu Capris einzigem ernst zu nehmenden Nachtlokal, „Anema e Core“. Kaum zu glauben, aber hier wird immer noch in schummriger Beleuchtung nach alten italienischen Schnulzen getanzt!

Der rosarot leuchtende Mezzatorre bereichert Ischias Hotellandschaft.
Gastgeberin Marie-Louise Sciò und Designerin JJ Martin launchen ihre Kollektionen auf issimoissimo.com

Am nächsten Morgen spaziere ich auf dem Weg zu meiner Verabredung mit Costanzo Canfora, dem Enkel des berühmten Sandalenmachers Amedeo Canfora, auf der Via Camerelle an den superschicken Stores der Top-Labels vorbei. Nur der Laden mit der Hausnummer 3 sieht immer noch genauso aus. Vielleicht weil, trotz des Siegeszugs der Capri-Sandale, die guten Kunden weiterhin die Kult-Sandale von Canfora wollen. Während sich Costanzo vor dem Erinnerungsfoto von Jackie und Ari Onassis in Position bringt, zieht er ein altes Auftragsbuch aus der Schublade. Schuhgröße und Fußabdruck der ehemaligen First Lady sind hier mit Datum und dem Vermerk „Signora Kennedy moglie presidente America“ hinterlegt. Bis heute darf die „K“-Sandale mit dem unverwechselbaren, silberglänzenden Kettendreieck in keiner Kollektion fehlen. Für einen Cappuccino nehme ich am Rand der Piazzetta Platz und reise in Gedanken in eine Zeit zurück, in der Emilio Pucci hier saß und Kleider für die nächste Kollektion skizzierte, Pietro Capuano mit einem Sonnenschirm aus korallenroter Spitze vorbeieilte und die Prinzen Ruspoli mit Papageien auf den Schultern Hof hielten. Dann bringt mich ein zum Cabrio-Taxi umdekorierter Oldtimer hinauf nach Anacapri. Sobald die rote Sonne hinter dem Monte Solaro versinkt, wird es hier selbst im Sommer still. Es ist die Zeit, in der sich die Gäste des Caesar Augustus auf der bühnenähnlichen Terrasse des eleganten Grandhotels einfi nden. Aus der Lounge dringt leise Pianomusik, draußen werden Bellinis und andere Sommercocktails serviert. Das Hotel selbst gleicht einer Reise in die Vergangenheit. Selbst im digitalen Zeitalter haben, wie ich sehe, ein paar handgeschriebene Messages ihren Weg in die dafür vorgesehenen Fächer gefunden. Ich bestelle im Gourmetlokal meine geliebten mit Ziegenkäse gefüllten Ravioli Caprese, einen Branzino mit gegrillten Artischocken und Koriander-Püree und eine Baba au Rhum mit Chantilly und Walderdbeeren.

Caesar Augustus grüßt von der Terrasse des spektakulären Hotels in Anacapri, zu dem Gäste besser nicht in den Sandalen von Canfora hinaufsteigen sollten

Dass der römsiche Kaiser Augustus einst Ischia gegen das deutlich kleinere, aber in seinen Augen begehrenswertere Capri tauschte, tragen ihm die Menschen auf Ischia bis heute nach. Und erinnern sich umso lieber an die 50er-Jahre, als sich im kulissenhaften Örtchen Forio eine Künstler-Kolonie niederließ, deren Ruf noch mehr Künstler, Beauvivants, reiche Erben und Celebrities wie Charlie Chaplin, Pablo Neruda oder Truman Capote anlockte. Sowieso muss sich die Insel mit ihren Stränden, verschwiegenen Badebuchten und Heilquellen, die schon die Römer auf die „Insel der ewigen Jugend“ lockten, nicht hinter Capri einordnen. Auch wenn Ischias Ruf als Paradies für rheumakranke Rentner ihr Image in den Jahren bröckeln ließ. Vielleicht war aber genau dies die Rettung. Denn während sich Positano und Capri für die Schönen und Reichen in Form brachten, blieb Ischia der Charme der 50er-Jahre erhalten. Mit absolut allem, was wir an Italien lieben. Wie das Glas Wein in einer namenlosen Bar am Meer. Wie der Besuch einer aus der Zeit gefallenen Trattoria, in deren Küche die ganze Familie am Herd steht und die Kräuter aus dem eigenen Garten holt. Wie die Fahrt mit einem Fischerboot zu einer der stillen Badebuchten oder das Stöbern nach maritimen Souvenirs auf den Wochenmärkten. Nirgendwo sonst im Golf von Neapel hielt sich das Alltagsleben der lokalen Fischer wie am Hafen von Ischia Ponte. Vor den farbenfrohen Häusern liegen die Netze zum Trocknen in der Sonne, Wäscheleinen flattern neben Sonnenschirmen im Wind, alte Männer nutzen die Abendstunde für ein Schwätzchen mit dem Nachbarn, während junge Fischer sich in der winzigen Kapelle am Strand den Segen der Madonna für den nächsten Tag auf dem Meer holen, filmreife Kulissen.

Tatsächlich wurde Ischia Ponte 1963 als einer der Drehorte von „Cleopatra“ für kurze Zeit aus seinem Dornröschenschlaf geweckt. Die Bilder von Richard Burton und Liz Taylor gingen um die Welt genau wie 36 Jahr später die Aufnahmen von Gwyneth Paltrow, Jude Law und Matt Damon, die an gleicher Stelle Szenen des Films „Der talentierte Mr. Ripley“ drehten, nach dem gleichnamigen Bestseller von Patricia Highsmith. Im „Ciro’s“ zu Füßen des Castello Aragonese, wo er gern um eine deftige Bohnensuppe bat, habe ich Regisseur Anthony Minghella damals zu einem Interview getroffen und durfte für ein paar Stunden bei den Dreharbeiten dabei sein. Mehr als 20 Jahre später bin ich zurück auf der Insel und beziehe, im Badeort Forio, das Hotel Mezzatorre. Es ist keinesfalls neu auf der Insel, hat sich aber seit seiner Übernahme durch Marie-Louise Sciò völlig verwandelt. Der rosarote Wachturm, einer von vielen, die Ischia vor Piraten und Eroberern sichern sollten, ist der Eyecatcher der weitläufigen Anlage, in der sich Gästevillen und Baumhäuser in einem wilden mediterranen Garten verteilen und Bikini-Beauties auf komfortablen Daybeds um den Outdoor-Meerwasserpool rekeln. Marie-Louise ist eine selbstbewusste junge Frau, deren Eltern einst den tos kanischen Hideaway Il Pellicano führten und ihr die Lebens freu de und die Leichtigkeit im Umgang mit Menschen vererbten. Und den Sinn für schöne Dinge, die sie – ähnlich wie Carla Sersale in Positano – auf besondere Art auslebt. Für ihr Label „issimo“ arbeitet sie eng mit Designern und Kunsthandwerkern aus der Gegend zusammen. Der L’Albergo della Regina Isabella, ein legendäres Thermenhotel am westlichen Ende von Lacco Ameno, ist der absolute Gegenentwurf zum Mezzatorre: Old-World-Charme der 60er-Jahre, überall handbemalte Majolika-Böden, Antiquitäten und opulente Sesselgruppen in Salons und Lounges. Doch auch hier führen bei Sonnenschein natürlich alle Wege nach draußen, und selbst bei weniger gutem Wetter bleibt man im verglasten Wintergarten des Restaurants in der Nähe des Meeres. Abgesehen von Pool und Terrassen, lieben Badegäste die wie ein Finger ins Meer hinausragende, mit Liegen und Sonnenschirmen bedeckte Landzunge.

Vom Gipfel des Montevico, dem Hausberg von Lacco Amero, werfe ich später einen ersten verliebten Blick auf die Nachbarinsel Procida, die in diesem Jahr als Kulturhauptstadt Italiens ein wenig ins Rampenlicht rückt. Am nächsten Morgen bringt mich die Inselfähre in nur 15 Minuten hinüber. Aus der Distanz wirkt die Marina Grande mit ihren verwaschenen, pastellfarbenen Häuserfronten wie ein antiker Wandteppich. Beim Näherkommen lassen die zum Teil verfallenen Palazzi in neapolitanischem Gelb, pompejanischem Rot und blassen Blautönen allmählich ihre Konturen erkennen: asymmetrische Türme und Torbögen, offene Treppenelemente und halbmondförmige Fensterbögen. Sobald die Sonne verschwunden ist, spüre ich eine gewisse Melancholie. Sie erinnert mich an den Film „Il Postino“, der nach dem Buch von Pablo Neruda hier an verschiedenen Plätzen gedreht wurde. Ähnliche Gefühle müssen auch Minghella bewogen haben, einige der Filmszenen des „Talentierten Mr. Ripley“ nach Procida zu verlegen. Ich verzichte auf die Besichtigung von Kapelle und Klos terabtei und spaziere weiter zum Hafen Marina Corricella, wähle einen Tisch unter einem der weißen Sonnenschirme der Trattoria „Gorgonia“ mit Blick auf die bunten Boote und kombiniere ein Coniglio alla Cacciatore mit einem eisgekühlten Lacrimarosa, dem köstlichen Rosé vom Avellino. Meinen Kaffee nehme ich im Hafen des Dörfchens Chiaiolella, auf der Terrasse der Familienpension Crescenzo, zu Zeiten von Minghella, der hier einen Teil seiner Crew untergebracht hatte, damals das beste Haus am Platz. Dann wird es Zeit für den Transfer zurück zur Stadt. Endlich wieder Neapel! Nach einer knappen Stunde mit dem Aliscafo von Ischia tauche ich in eine völlig andere Welt. Nach der bilderbuchhaften Lieblichkeit der Inseln wirkt die Stadt auf einen Fremden womöglich wie ein Kulturschock. Er empfindet sie als laut, grell, chaotisch, vielleicht sogar bedrohlich. Doch ich verliebe mich aufs Neue.

Während ich mich der Stadt vom Meer aus nähere, labe ich mich an den unverwechselbaren Konturen des Vesuv über dem zart kolorierten Häusermeer, das sich wie ein antikes Amphitheater in den Golf ergießt. An den blütenweißen Booten vorbei, die im Yachthafen ankern, nimmt das Tragflügelboot Kurs auf den Hafen von Beverello. Ich bin zur Wiedereröffnung der Villa Igiea eingeladen, die ich mit Kindheitserinnerungen verbinde. Palermo stand damals am Ende einer Sizilienreise. Nach den fröhlichen Tagen am Strand erschienen mir die dunklen Räume des Grandhotels wie eine fremde, geheimnisvolle Welt. Mit Palermo ging es mir ähnlich. Damals wie heute bin ich von seiner brüchigen barocken Pracht immer wieder in den Bann gezogen. Inzwischen herrscht hier Aufbruchstimmung: Seit seiner Wiederwahl 2012 galt der charismatische Bürgermeister und umstrittene Anti-Mafia-Politiker Leoluca Orlando als Vorbild für Investoren, Bauherren, Künstler und Kreative, der der 700 000-Einwohner-Metropole zu Füßen des Monte Pellegrino eine Perspektive gab. Und auch den Hoteliers. Jüngstes Beispiel eines internationalen Hoffnungsträgers ist die Aufnahme der Villa Igiea in die Kollektion des in London ansässigen, leidenschaftlichen Hotel-Sammlers Sir Rocco Forte. Womit die Geschichte der malerisch am Meer gelegenen Villa, die auch die Geschichte der Stadt und ihrer Bewohner dokumentiert, erneut ins Licht der Öffentlichkeit rückt.

Als der wohlhabende Großunternehmer Ignazio Florio, den man bis heute als Namensgeber des berühmten Autorennens Targa Florio kennt, 1899 einem englischen Admiral die schmucke Jugendstilvilla abkaufte, wollte er sie spontan zu einem Sanatorium umfunktionieren. Beeindruckt von der frischen Meeresluft des Acquasanta-Viertels und in Sorge um seine tuberkulosekranke Tochter. Doch es sollte anders kommen: Mit Unterstützung des bekannten Jugendstil-Architekten Ernesto Basile und dem für seine Jugendstilmalerei bekannten Malers Ettore De Maria Bergler kreierte er stattdessen einen besonderen Ort der Lebensfreude. Die Eröffnung der Villa Igiea als kleines feines Luxushotel war 1900 auch die Geburtsstunde des Cercle des Étrangers, zu dessen formidablen Mitgliedern in kurzer Zeit Schriftsteller, Maler, Journalisten sowie die Spitzen der sizilianischen Gesellschaft gehörten. Einer der Höhepunkte war 1907 die Ankunft der „Victoria and Albert“ im privaten Yachthafen des Hotels, mit dem reisefreudigen englischen König Edward VII., Königin Alexandra, Prinzessin Victoria und der russischen Zarin Maria Fjodorowna an Bord. Ignazio Florio, der seinen Reichtum nicht zuletzt der Produktion eines vorzüglichen Marsalas verdankte, war nicht nur als exzellenter Gastgeber, sondern auch für die exzentrischen Launen seiner Frau Franca bekannt.

Angeblich quittierte sie jeden seiner Seitensprünge, indem sie ihre Perlenkette um ein paar Zentimeter verlängern ließ. Dabei soll sie es auf sieben Meter gebracht haben. Ihre zweite Blütezeit erlebte die Villa – inzwischen im Besitz der Banco di Sicilia – in den 1950er-Jahren als Filmkulisse und als Hangout der Hollywoodstars. Die breite Freitreppe, auf der Donna Franca zu ihrer Zeit die Gäste mit Haschischzigaretten brüskierte, führt heute wieder in einen prachtvollen Park, der dem Vergleich mit großen Botanischen Gärten durchaus gewachsen ist. Während eines Spaziergangs schaue ich über blühende Hecken hinunter aufs Meer. Wo früher rostige Tanker dümpelten, schaukeln jetzt private Luxusyachten. Eine davon gehört dem Hotel und begleitet, wie ich erfahre, Gäste, die nicht im nierenförmigen Hotelpool schwimmen möchten, an umliegende Strände. Sei es der von Einheimischen bevorzugte lange Sandstrand im Badeort Mondello oder eine der deutlich ruhigeren Buchten außerhalb der Stadt, beispielsweise in den Naturreservaten Zingaro oder Capo Gallo. Mit dem neu gestalteten Innenleben des Hotels gibt Olga Polizzi, eine der sechs Schwestern von Sir Rocco Forte, ein weiteres Beispiel für ihr Design-Talent.

Ich erlebe eine wunderbare Kombination von italienischer Heiterkeit, der Opulenz eines modernen Luxushotels und einem Hauch der Dekadenz von damals. Das gilt für den saalähnlichen Wintergarten, der mit hohen Decken und üppigen Pflanzen das Flair eines vornehmen Santatoriums verbreitet, genauso wie für die elegante „Igiea Terrazza Bar“ und die „Alicetta Pool Bar“, deren markantes Design an den Pavillon des Palazzo Butera erinnert. Am letzten Abend lädt Küchenchef Fulvio Pierangelini, der im Ristorante „Florio“ Fine Dining de luxe praktiziert, zu einem privaten Kochkurs. Promovierter Politologe und einer der besten Köche Italiens (Er war viele Jahre lang die Seele des berühmten Gambero Rosso in der Toskana) und inzwischen Herr über alle Küchen der Rocco Forte Hotels. Mit seiner bacchantischen Art und dem wilden Lockenkopf, der Leidenschaft und Anmut, mit der er Artischocken schält und Garnelen pult und gleichzeitig von seiner Jugend schwärmt, von blau-weißen Badehäuschen, vom Kickern am Strand, von herrlich einfachen Gerichten wie frittierten Sardellen oder Spaghetti mit Muscheln, erscheint er mir wie ein Gesamtkunstwerk der mediterranen Lebensfreude. Was für ein Land! Viva Bella Italia!

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