Style

Bye bye, Minimalism

Das Dekor-Delirium von Martin Brudnizki ist gerade mega angesagt. Sein farbenfroher Eklektizismus und seine überschwängliche Opulenz gelten gerade als Nonplusultra des Interior-Designs

Text: Patricia Engelhorn

Der Maximalist: Von einem Mann, der solche Pantoffeln trägt, braucht man keine Zurückhaltung erwarten. Aber unbedingt einige Überraschungen. Foto: Oli Kearon

Ist dies ein Hotel? Oder doch eine von Wes Anderson erfundene Filmkulisse? Schon der schmale Empfangsraum gleich hinter der Eingangstür des Stadtpalais aus dem 14. Jahrhundert überrascht mit jadegrünen, gemusterten Stofftapeten und einem ebenfalls jadegrünen, geschickt beleuchteten Tresen aus Keramik-Fliesen. Von der gerafften und plissierten Decke hängt ein venezianischer Kristalllüster, und die Wandleuchten erinnern an den Orient-Express. Und das ist erst der Anfang.
Die Salons und Lounges des neuen Hotel Le Grand Mazarin im schönen Pariser Marais-Viertel punkten mit Vintage-Möbeln, Trompe-l‘oeil-Malereien und Kreationen der besten französischen Kunsthandwerker. Wer eines der rund 60 Zimmer und Suiten bewohnt, schläft unter einem eigens angefertigten Wandteppich im Aubusson-Stil von der Weberei Art de Lys. Die Manufaktur Pinton 1867 lieferte die Teppiche, Maison Pierre Frey die ausgefallenen Stoffe und Maison Lucien Gau – seit sechs Generationen für schöne Bronzeleuchten bekannt – die Lampen mit handverzierten Beinen und von den Künstlerinnen Laura Horrocks und Claudia Cauville gestalteten Schirmen. Dazu kommen pastellfarbene Wände, ziegelrote und sonnenblumengelbe lackierte Holzschränke und Sessel mit bunten Bordüren, Rüschen oder Fransen.
„Ich liebe die Vorstellung der extravaganten Salons, die es im 18. und 19. Jahrhundert im Marais gab“, gesteht Martin Brudnizki, der diese fabelhafte und sehr französische Welt entworfen hat. „Sie dienten als wichtige Inspirationsquelle.“ Seine Grundidee war eine frisch-fröhliche Interpretation des prächtigen aristokratischen Ambientes, in dem sich Persönlichkeiten aus Literatur, Kunst und Musik zum Gedankenaustausch trafen.

Geboten wird selbstverständlicher Luxus, kombiniert mit einer guten Dosis Exzentrik und sehr viel Sinn für lässiges, komfortables Wohnen.
Das gefällt – siehe seine Hotels in London (Broadwick Soho), New York (The Fifth Avenue Hotel) oder Portofino (Splendido), Lokale wie das Baurs in Zürich und das Café Boulud in Toronto oder den Hongkong-Ableger von Fortnum and Mason – nicht nur Franzosen. Martin Brudnizki realisiert weltweit eklektische, überschwängliche, farbenfrohe und unglaublich stylishe Alice-im-Wunderland-Räume, die ganz offensichtlich den Zeitgeist treffen.
Martin Brudnizki wurde 1966 in Stockholm geboren. Sein polnischer Vater hatte sich als Bauingenieur in Schweden niedergelassen, seine deutsche Mutter arbeitete als Dekorateurin: „Sie hatte einen exzellenten Geschmack, jeder Gegenstand bei uns zu Hause war sorgfältig ausgewählt. Sie inspiriert mich bis heute.“ Trotz eines frühen Interesses an Design studierte Brudnizki Wirtschaft in Stockholm, arbeitete als Model, reiste viel und lebte in Japan und Paris. Erst später, als ihm ein Freund, der in London Innenarchitektur studierte, einige Arbeiten zeigte, dachte er: „Oh, das kann ich viel besser!“, und schrieb sich 1990 ebenfalls an der Uni in London ein.
Bald arbeitete er für den Galeristen David Gill, der unter anderen die Designer Elizabeth Garouste und Mattia Bonetti vertrat. Brudnizki war fasziniert von deren Fähigkeit, historische Formen zu modernisieren – es ist leicht zu erkennen, dass seine Vorliebe für eine aufgefrischte Interpretation antiker Designs aus dieser Zeit stammt. Mitte der 1990er-Jahre wechselte er zu David Collins, dem damals einflussreichsten Designer Londons, und lernte, wie man große Innenarchitekturprojekte leitet. Dann eröffnete er sein eigenes Studio MBDS und wurde ziemlich schnell zu „Britains hottest designer“. London verdankt ihm unter anderem die J Sheekey Oyster Bar, Scott‘s, Harry‘s Bar, Ivy und den wunderbar dekadenten Nachtclub Annabel‘s.
Zu den jüngsten Projekten des 56-Jährigen gehört der neue Look des legendären Hotel Splendido in Portofino. „Wir führen dieses berühmte Hotel in eine neue Ära, es benötigt dringend ein umfassendes Facelift. Der Stil dieses Hotels wird durch und durch italienisch sein“, führt er aus, „es wird mehr Charakter und mehr Cachet haben als vorher.“ Zu den ersten Beispielen gehört der Salzwasserpool aus den 1970er-Jahren, der eine Fliesen-Verkleidung in verschiedenen Grüntönen bekam. Drumherum stehen terrakottafarbene Sonnenschirme und gestreifte Liegen mit Paspeln. Der Splendido Grill lockt mit einem versenkbaren Sonnendach, einem rot gefärbten Kiesboden und Pendelleuchten aus Muranoglas. Die Rattanstühle sind mit pistaziengrünen Kissen versehen, die Spaghetti alle Vongole kommen auf durchscheinendem, handbemaltem Porzellan.

Am prächtigsten präsentiert sich die neugestaltete Baronessa-Suite. „Wir haben uns den Salon einer wohlhabenden, weit gereisten italienischen Signora vorgestellt“, erklärt der Designer, „er strahlt Geschichte und Kultur aus und Kultur aus und ist mit seinen rosafarbenen Akzenten, floralen Motiven, verzierten Keramikkronleuchtern und traditionellen Makramé-Spitzenvorhängen ausgesprochen feminin.“ Ins Schlafzimmer stellte er eine antike, zitronengelb bezogene Chaiselongue, handbemalte Nachttische, Albissola-Keramiklampen und ein kunstvolles Kingsize-Bett mit geschnitztem Holzkopfteil und verblasstem Lampasso-Stoff, der, wie fast alles, was Brudnizki in diesem Hotel verarbeitet, aus einer lokalen Werkstatt stammt.
Ganz anders präsentiert sich das brandneue Hotel Broadwick Soho in London. Die Idee dahinter: Studio 54 trifft auf das Stadthaus der Großmutter. Alles wirkt ein wenig schräg, leicht verblasst und sehr sexy – so wie Soho selbst. In den 57 Zimmern überraschen aquamarinfarbene, mit Tigern bestickte Tapeten oder eine Minibar aus Messing in Form eines Elefanten, die von Handwerkern aus Jaipur eigens angefertigt wurde. Es gibt opulente Kronleuchter, Schränke, die mit Reproduktionen antiker Wandteppiche bedeckt sind, kirschrosa Lampenschirme, Fransen-Poufs, verspiegelte Decken und Vintage-Sessel. „Wichtig ist, dass wir spielerisch sind. Es wird in meinen Einrichtungen immer Dinge geben, die Spaß machen, die lustig und gewagt sind und aus dem Rahmen fallen“, sagt Brudnizki. „Menschen möchten ausgehen und sich amüsieren.“
Inzwischen weiß jeder, der sich mit seiner Arbeit beschäftigt, dass ein gewisses Dekor-Delirium bei ihm nicht ungewöhnlich ist: „Ich habe nie verstanden, warum es in Häusern so oft an Kunst und Objekten mangelt. Dinge sind brillante Ergänzungen für einen Raum, verleihen ihm Wärme und Persönlichkeit. Ich finde, man kann gar nicht genug davon haben.“ Also stülpt er zusätzliche Lampenschirme auf ohnehin schon opulente Kronleuchter und lässt rosafarbene Papageien über grün-goldene Vertäfelungen spazieren.
Ganz offensichtlich kommt das an – die Nachfrage nimmt kein Ende. Das MBDS-Studio beschäftigt inzwischen rund 100 Mitarbeiter, gestaltete allein im letzten Jahr sechs Hotels, lancierte im vergangenen Oktober den Laden „And Objects“ an der feinen Londoner Pimlico Road mit einer eigenen Linie von Möbeln, Lampen und Wohnaccessoires und eröffnete kurz darauf einen Showroom in New York. Es war ein aufregendes und sehr erfolgreiches Jahr für Martin Brudnizki. In der Pipeline sind weitere neue Hotelprojekte, inklusive eines in Hamburg. „Ich darf darüber nicht viel sagen“, erzählt Martin Brudnizki, „aber es wird das erste Haus einer neuen deutschen Hotelmarke sein.“

mbds.com

Probewohnen

Hotel Le Grand Mazarin ab 572 Euro, 17 rue de la Verrerie, 75004 Paris, T. +33. 1.83 64 00 65, legrandmazarin.com

Splendido ab 1065 Euro, Salita Baratta 16, 16034 Porto no, T. +39.0185.26 78 01, belmond.com/hotels/europe/italy/porto no/ belmond-hotel-splendido/

Broadwick Soho ab 741 Euro,
20 Broadwick Street, London, T.+44.20.70 47 40 00, broadwicksoho.com

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