This Year: Engadin

 Selten hat es die Schöpfung so gut gemeint wie mit diesem Hochtal im Schweizer Kanton Graubünden: Und kaum eine Region hat solche Gastgeberqualitäten. Man muss sie nur entdecken. Mit uns

Seine globale Bedeutung als Wintersportort verdankt St. Moritz der atemberaubenden Lage in den Bergen – und einem cleveren Hotelier

Text Alex Kuehn

Wir schreiben den September 1864: Johannes Badrutt, Direktor des Kulm Hotels in St. Moritz, sitzt mit den letzten verbliebenen Sommergästen aus Großbritannien zusammen und schwärmt ihnen von der Schönheit des Engadiner Winters vor. Da die sechs Briten seine Erzählungen für übertrieben halten, bietet ihnen Badrutt eine Wette an. Sollten die vielen Sonnenstunden auch in der kalten Jahreszeit ihren Aufenthalt nicht zu einem unvergesslichen Erlebnis machen, übernehme er die gesamten Reisekosten. Die skeptischen Gäste kommen im Winter wieder, bleiben bis Ostern – und verbreiten die frohe Kunde in der Heimat. Es ist der Grundstein eines veritablen Booms. Von dem natürlich auch der clevere Herr Badrutt profitiert. Selbst wenn nicht jedes Detail der Geschichte stimmen sollte, eine der Wiegen des Wintersports ist St. Moritz ganz gewiss. Und ein Ort mit großer olympischer Tradition. Zweimal – 1928 und 1948 – richtete die am Sankt Moritzersee, oder auf Rätoromanisch: Lej da San Murezzan, gelegene Gemeinde die Winterspiele aus.

Während in den Pionierjahren vor allem das Eis die Massen faszinierte, avancierte St. Moritz spätestens im zweiten Viertel des 20. Jahrhunderts zur weltweit beachteten Skidestination. Die Olympischen Winterspiele von 1948 eingerechnet, war der Ort fünfmal Ausrichter Alpiner Skiwelt- meisterschaften. Erstmals 1934 und letztmals 2017. Gerade für die Schweizer Athleten waren dies denkwürdige Tage: Beat Feuz triumphierte in der Abfahrt, Luca Aerni und Wendy Holdener in der Kombination. Holdener sicherte sich zudem noch Silber im Slalom. Lara Gut, deren Stern 2008 mit dem Sieg im Weltcup-Super- G von St. Moritz aufgegangen war, gewann in der zweiten Speeddisziplin Bronze. Der Mythos St. Moritz lebt aber natürlich auch von den treuen Wintergästen, die Jahr für Jahr in die verschneite Bergwelt zurückkehren und Anlässe wie das White Turf, das St. Moritz Gourmet Festival oder das Snow Polo überhaupt erst möglich machen.

Afternoon Tea im Suvretta House, Piste am Corvatsch mit Aussicht auf das Nebelmeer

Die schillernde Society gehört zu St. Moritz wie die atemberaubend schöne Natur. Nach dem legendären Playboy, Künstler und Sportler Gunter Sachs hat der Ort sogar den Platz oberhalb der Bobbahn benannt. Wer selber einmal die St. Moritzer Bobbahn, ihres Zeichens Schauplatz von 22 Weltmeisterschaften, hinabrasen möchte, kann dies zusammen mit einem erfahrenen Piloten bei einer sogenannten Taxifahrt tun. „Ein großartiges Erlebnis, das ich wärmstens empfehlen kann“, sagt Heinz E. Hunkeler. Und wie würde der Kulm-Direktor sonst noch einen sportlichen Tag verbringen? „Beim Curling vor dem Country Club, beim Eisfischen oder Snowkiten zum Beispiel. Und wenn man einmal tief in die Natur eintauchen möchte, empfiehlt sich eine Skitour im Gebiet Diavolezza-Bernina.“ Und all dies meist bei eitel Sonnenschein

Das White Turf auf dem zugefrorenen Lej da San Murezzan, im Outdoor-Pool des Kulm Spa

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Auch in diesem Zusammenhang führt die Spur der Geschichte auf das Areal des Kulm Hotels, genauer zum 2016 nach Plänen des britischen Stararchitekten Sir Norman Foster renovierten Kulm Country Club. Denn die Anlage mit dem großen Eisfeld diente den Eiskunstläufern bei beiden Olympiawettbewerben im Engadin als Wettkampf stätte. „Welches Hotel sonst kann von sich behaupten“, freut sich noch heute Heinz E. Hunkeler, seit 2013 General Manager des Kulm Hotels, „zweimal Gastgeber von olympischen Wettkämpfen gewesen zu sein?“ Darauf ausgeruht hat sich St. Moritz nie.

Nur einen kurzen Spaziergang nordöstlich liegt der Start des legendären Cresta Runs. Die 1214 Meter lange Natureisbahn, die jedes Jahr neu aufgebaut wird, erfordert mit einem Höhenunterschied von 157 Metern und Spitzentempi um 140 Kilometer in der Stunde neben Geschick auch einige Kaltblütigkeit. „Man hat schon ein flaues Gefühl im Magen, wenn man sich den Kopf voran in den Eiskanal stürzt“, sagt einer, der die sportliche Mutprobe schon mehrmals gemeistert hat. Zu meisterlich in dieser haarsträubenden Disziplin mag man vielleicht auch gar nicht werden. Denn jedes Mal, wenn es einen neuen Sieger im Rennen um den begehrten Morgan Cup gibt, muss dieser den Pokal mit Champagner füllen. Und hinein passt nicht weniger als der Inhalt von neun undzwanzigeinhalb Flaschen.

„Welches Hotel sonst kann von sich behaupten, zweimal Gastgeber von olympischen Wettkämpfen gewesen zu sein?“