Seite 2 Hongkong geht aus

Doch bei aller verlockenden Vielfalt: Wer die kulinarische Seele dieser Stadt begreifen will, kommt nicht am Geheimnis der Dim Sum vorbei.

Die kantonesische Spezialität, die meist gedämpft oder frittiert wird und als Frühstück, Brunch oder Lunch gegessen wird, ist ein integrativer Bestandteil von Hongkongs DNA: „Es ist ein Ritual, das jede chinesische Kindheit prägt“, sagt Chan Yan Tak, Küchenchef des „Lung King Heen“, dem kantonesischen Restaurant im Four Seasons Hotel. „Sonntag mittags wird mit der ganzen Verwandtschaft gegessen, und man serviert endlose Mengen von Dim Sum. Schon Kleinkinder essen mit, Dim Sum sind wahrscheinlich die erste feste Nahrung, die ein kantonesisches Kind zu sich nimmt.“ Das „Lung King Heen“, einst als erstes chinesisches Restaurant weltweit mit drei Sternen ausgezeichnet, ist eine Ikone und dementsprechend Sonntag mittags stets auf Monate ausgebucht. Für Chan Yan Tak kein Grund abzuheben: Seine größten kulinarischen Vorbilder sind und bleiben seine Mutter und seine Großmutter. Das über unzählige Generationen erworbene Wissen um den perfekten Weizenmehlteig oder den optimalen Gargrad für all die köstlichen Meeresfrüchte aus dem Südchinesischen Meer sind sein Kapital. Im „Lung King Heen“ werden Dim Sum nicht nur traditionell im Bambuskörbchen, sondern auch auf edlem Porzellan serviert, jedes einzelne ein Kleinod an Geschmack und Ästhetik, wobei die klassischen Rezepturen ganz behutsam kreativ verfeinert werden. Har gau beispielsweise, Teigtaschen mit einer Füllung von Garnelen, die üblicherweise mit Bambussprossen kombiniert sind, werden hier durch Morcheln geadelt, die der Füllung mehr Aroma und eine andere Art von Biss verleihen. Eine besonders luxuriöse Variante stellt ein Happen gedämpften Hummers mit Jakobsmuschel und Garnele dar, die Teighülle wurde durch ein gedämpftes Kohlblatt ersetzt, das diesem Mundvoll maritimen Wohlgeschmacks noch mehr Frische und Leichtigkeit verleiht. Nach dem Essen möchte Küchenchef Chan Yan Tak wissen, ob es geschmeckt hat. Er ist ein kleiner, untersetzter Mann mit einem breiten Lächeln, das einen abgebrochenen Schneidezahn freilegt. Mit 14 Jahren begann er, in der Küche zu arbeiten, seither hat er mit seiner DimSumKunst einen Grad an Perfektion erreicht, den ihm so rasch keiner nachmacht. Das beinahe popstarhafte Auftreten mancher international gefeierter westlicher Küchengötter ist ihm trotzdem fremd geblieben. Und über Kollegen, die sich den neuen westlichen Einflüssen beugen und die traditionsreichen Dim Sum nun mit Gänseleber füllen, mit Parmaschinken umwickeln oder aus Fischbällchen Tierköpfe formen, die sie mit Karottensaft oder Oktopustinte bemalen, kann er nur den Kopf schütteln – solche Gags hat ein Meister wie er nicht nötig.

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Es ist das Nebeneinander von uralter Tradition und unbekümmerter Innovation, das Hongkong als DiningMetropole so reizvoll macht. In den engen Straßen von Central, Sheung Wan und Wan Chai wird chinesische Küche aller Spielarten angeboten. Da ist ein Konzept wie „Duddell’s“, halb Restaurant, halb Galerie, wo man, umgeben von den Werken junger ein heimischer Künstler, köstlichstes roast pork oder gebratene Jakobsmuschel mit Ingwer und schwarzem Trüffel zwischen die Stäbchen bekommt. Da ist ein Meister des kulinarischen Storytelling wie der in Kanada geborene Alvin Leung, der den Rezepten seiner Vorväter mit den Mitteln modernster Küchentechnologie zu Leibe rückt – berühmt wurde etwa seine molekulare Version der beliebten Xiao Long Bao Teigtaschen mit flüssiger Füllung. Und auch wenn die kantonesische Küche unangefochten als die beste aller chinesischen Regionalküchen gilt, kann man in der Sieben Millionen Metropole natürlich auch exzellent à la Shanghai, Zhejiang, Szechuan oder Chiu Chow speisen. Zu den heißesten Neuzugängen zählt das „Old Bailey“, wo man in schick gestyltem Interieur Spezialitäten aus der Provinz Jiangnan serviert. Sehenswert ist es auch wegen seiner Lage im derzeit sehr gehypten Tai Kwun, dem aufwendig restaurierten ehemaligen Polizeihauptquartier, das mit seinen vielen Galerien, Bars und Restaurants und nicht zuletzt dank der architektonischen Intervention der Schweizer Stararchitekten Herzog & de Meuron zum neuen InTreff wurde. Im großen Innenhof, unter einem uralten Mangobaum, eröffnete auch der Australier David Thompson, Superstar der anspruchsvollen Thai Küche, sein neuestes Restaurant „Aaharn“.

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Wie Thompson lassen sich derzeit viele internationale Top Chefs von Hongkongs boomender Restaurantszene und seiner zahlungskräftigen Klientel anziehen: Der Peruaner Virgilio Martínez eröffnete das „Ichu Peru“, der Stockholmer Drei SterneKoch Björn Frantzén ist mit gleich zwei Restaurants vertreten, und jüngster Neuzugang ist seit Juni Julien Royer, dessen Singapurer Restaurant „Odette“ als „Asia’s Best Restaurant 2019“ ausgezeichnet wurde, mit seinem „Louise“. Unbestrittener Star der sehr starken französischen Szene in Hongkong ist übrigens das „Caprice“ im Four Seasons Hotel, wo der charismatische Guillaume Galliot jüngst den dritten Stern zurückerkochte – mit seiner eindrucksvollen Architektur, dem spektakulären Hafenblick und dem konkurrenzlosen Aufmarsch grandioser Luxusprodukte steht es für das weltoffene Flair der Handelsmetropole. „Hongkong ist für mich als Koch ein Traum“, sagt auch Uwe Opocensky, ein weiterer Zugereister, diesmal aus Worpswede, Niedersachsen. „Ein Schmelztiegel für ständig neue Produkte aus aller Welt, neue Denkweisen und eine gigantische Kreativität.“ Über zehn Jahre war er kulinarischer Frontmann des Mandarin Oriental und als solcher stadtbekannt, heute berät er eine Edelburgergruppe und leistet sich ein kleines Restaurant in Sheung Wan. Uwe“ steht in großen Lettern an der türkis gefliesten Außenwand, für Einheimische ein Zungenbrecher, aber der Name ist Programm: Hier kocht er nur noch das, was ihm Spaß macht, ein „Best of“ seiner Erfahrungen als Europäer in Hongkong. Weil er seinen Gästen auch die üppig grüne Seite der ehemaligen britischen Kronkolonie präsentieren möchte (70 Prozent sind ungezähmte Natur), kauft er Gemüse, Kräuter, Blüten und BioReis bei einem Bauern auf der Hongkong Island vorgelagerten Insel Lantau. Opocensky spielt mit den Wahrnehmungen der Gäste, wenn er grünen „MatchaTee“ serviert, der sich am Gaumen als umamistarke Tomaten Basilikum Consommé entpuppt. Das Spiel mit Ost auf West funktioniert auch, wenn er einen über Holzkohle herrlich saftig gebratenen bretonischen Steinbutt mit schaumiger Champagnersauce und hauchdünnen Scheiben der chinesischen FetischMuschel Abalone serviert. Und im Frühjahr findet sogar der erste Spargel aus dem Garten seiner Mutter in Worpswede den Weg in seine Küche an der Hollywood Road – typisch für die sehr chinesische und sehr internationale FoodMetropole Hongkong. TW

Mak Kwai Pui, ehemaliger Dim-Sum-Chef des „Lung King Heen“

Tim Ho Wan An Jeden Morgen ab halb elf bildet sich an einer unscheinbaren Straße im Stadtteil Sham Shui Po, fern der glitzernden Wolkenkratzer von Central, eine Schlange vor einem einfachen Imbiss – der um 12 Uhr seine Türen öffnet. Das ist so, seit Mak Kwai Pui, ehemaliger Dim-Sum-Chef des „Lung King Heen”, hier sein „Tim Ho Wan” eröffnete. Erstklassige Qualität zu Garküchen-Prei-sen: Für seine à la minute gebackenen, aromatischen Cha Siu Bao (luftige Klöße mit einem Kern aus gegrilltem Schweinefleisch) oder die mit Schweineleber gefüllten Reisrollen verlieh ihm der Michelin einen Stern. Heute gibt es rund 50 „Tim Ho Wan”-Restaurants in aller Welt – doch der Gründer steht hier trotzdem noch jeden Tag selbst in der Küche.9-11 Fuk Wing Street, Sham Shui Po, Kowloon, T. +852.27 88 12 26, timhowan.com.

KYAT LOK Auch dieses Mini-Lokal in der Altstadt, seit 1957 von der Familie Chu geführt, wurde vom Michelin mit einem Stern ausgezeichnet: für seinen stadtbekannten Gänsebraten, nach einem Geheim-rezept mariniert und über Holzkohle zu knuspriger Perfektion gebraten. Köstlich auch der gegrillte Schweinebauch und in Soja mariniertes Huhn.34-38 Stanley Street, Central, T. 25 24 38 82,

LUK YU TEA HOUSE Sehenswerte Kolonialstil-Antiquität (eröffnet 1933) mit Jugendstillampen, viel dunklem Holz und Kellnern in weißen Jacken. Sehr beliebt bei den vielen Stammgästen für seine Dim Sum und die gebratenen nudeln mit Rindfleisch.24-26 Stanley Street, Central, T. 25 23 54 64, keine Website