
MUTTER NATURE
Unterwegs mit dem Expeditionsschiff von Hapag-Lloyd
Auf der „Nature“
durchs Packeis
Niemand bringt Sie so wohlbehütet in die östliche Arktis wie das jüngste Expeditions- schiff von Hapag-Lloyd. Bordbuch einer unvergesslichen Reise nach Spitzbergen,
der nördlichsten Insel Europas
Text Reinhard Modritz, Fotos Jill Ziegner/Hapag-Lloyd Cruises
Willem Barents bildete sich ein, der Erste zu sein. Am 19. Juni 1596 entdeckte der holländische Seemann mit seiner Crew die Insel, die er nach dem Eindruck ihrer äußeren Erscheinung „Spitzbergen“ nannte. Aber: Die Wikinger waren ihm zuvorgekommen. Und zwar um Jahrhunderte. Allerdings blieben sie nur kurz. Schließlich wollten sie weiter nach Westen, um die ersehnten grünen Gefilde zu finden. Diesbezüglich war die Insel eher eine Enttäuschung. Die Wikinger tauften sie Svalbard, „kalte Küste“, und segelten weiter. Ich hingegen will genau dorthin, auf der „Hanseatic nature“, einem Expeditionsschiff, das gerade seine Jungfernfahrt hinter sich hatte, möglichst weit nach Norden, Richtung Nordpol, bis das Packeis uns stoppt.
Ein Schiff wird kommem: Mächtige Gletscher, schroffe Gebirgszüge, und in Richtung Nordpol droht auch noch Treibeis. Aber bei dem Bug – und der Eisklasse PC 6 – kann die „Hanseatic Nature“ (fast) nichts aufhalten
1. Tag, Longyearbyen Wie die meisten Ausflüge in die östliche Arktis beginnt auch meiner in dem Ort mit dem schwer aussprechlichen Namen. Seine rund 2000 Einwohner leben hier ein halbes Jahr in permanenter Dunkelheit. Auch sonst hat die größte Gemeinde Spitzbergens nicht viel zu bieten. Immerhin prädestinieren eine Außenstelle des norwegischen Polarinstituts sowie die nördlichste Uni der Welt die einstige Bergbausiedlung als perfektes Labor für die Arktisforschung. Und falls es mal ganz schlecht laufen sollte, könnte hier, in einer der aufgelassenen Minen, 120 Meter tief im Permafrost, unsere Hoffnung auf eine Zukunft der Menschheit liegen: die größte Samenbank der Welt mit einer Kapazität für 2,2 Milliarden Proben und 600 000 Pflanzenarten. Perfekter Stoff für einen Science-Fiction-Film! Der perfekte Ort für einen Abenteuerfilm ist Longyearbyen sowieso, nicht zuletzt wegen der Eisbären. Außerhalb der Siedlung darf man sich nur mit geladenem Gewehr bewegen.
2. Tag, Prins Karls Forland Am Morgen wird die Expeditions-Montur, sprich: Gummistiefel und Parkas, ausgegeben. Dann stellt uns Expeditionsleiterin Heike Fries ihr Team vor, einschließlich eines halben Dutzends Bärenwächter. Für heute aber hat sie eine andere Begegnung vorgesehen: mit der größten Walrosskolonie auf Spitzbergen. Doch bevor wir die über 1000 Kilo schweren Kolosse besuchen, sichte ich backbord einen 50-Tonner: Wal bläst! Er präsentiert seine Schwanzflosse, bläst noch einmal – und zieht dann leider wieder ab. Das war’s dann aber für den Rest der Reise. Am Nachmittag erreichen wir Poolepynten auf Prins Karls Forland und besteigen die Zodiacs für unseren ersten Landgang. Die sind wie alles an Bord brandneu, beruhigend stabil und haben alle einen Namen: Roald Amundsen, Fridtjof Nansen, Sir John Franklin oder Alexander Humboldt. Heike kündigt eine nasse Anlandung an: Wir staken bis zur Trauflinie der Gummistiefel an Land und nähern uns nach einem kurzen Marsch dem Liegeplatz der dösenden Dickhäuter. Die wirken so tiefenentspannt, dass man sich am liebsten dazulegen würde – wäre es nicht erstens verboten und zweitens wegen der mächtigen Stoßzähne lebensgefährlich. Um 18.30 Uhr lädt Kapitän Thilo Natke zum traditionellen Kapitänscocktail ein.
Er ist einer der Routiniers bei Hapag-Lloyd, schon seit den 1990ern auf der alten „Hanseatic“ und später als Kapitän der „Bremen“ unterwegs. Die Polargebiete haben es ihm besonders angetan: „Wo gibt es sonst auf der Welt eine so reine Luft, eine so himmlische Ruhe, eine so imposante und friedliche Natur?“ Auf das – höchst zufriedenstellende – Dinner im „Hamptons“, dem Gourmetrestaurant der „Nature“, folgt ein Vortrag der beiden Bord-Biologen im HanseAtrium. Eisbär und Walross mögen die „Big Two“ auf Spitzbergen sein, aber die Fauna und Flora der Insel, die bis auf wenige Landstriche flächendeckend unter Naturschutz steht, kennen auch kleinwüchsigere Naturwunder: Sattel- und Ringelrobben, das Spitzbergen-Ren im Ponyformat und Abertausende Seevögel: Trottellummen, Papageientaucher, Möwen, Seeschwalben. Auch ein einsamer Singvogel ist hier zu Hause: die Schneeammer. Und neben einer großen Vielfalt an Gräsern, Kräutern und Sträuchern weist die Tundra-Vegetation auch einen einzigen Baum auf: die Zwergbirke, die nach einem halben Meter Wachstum aufgibt.