FUSION COOKING

Hongkongs Köche kennen keine Grenzen. Ihre Künste reichen von traditionellen Dim Sum über innovative „funky chinese kitchen“ bis zu französischer, japanischer oder peruanischer Küche. Willkommen in einer der aufregendsten Food-Metropolen

Text Patricia Bröhm

Warum gibt man einen Job als Creative Director einer New Yorker Werbeagentur auf, um fortan jeden Morgen in einer kleinen Küche im Hongkonger Stadtteil Sheung Wan Gemüse zu putzen? Vicky Lau zuckt die Achseln: „Die Macht der Gene?“ Als ihre Eltern sie mit 16 Jahren in die USA aufs Internat schickten, hätte sie jedenfalls nicht im Traum daran gedacht, dass dieser Weg sie eines Tages in ihr eigenes kleines Restaurant zu Hause in Hongkong führen könnte. Doch die Erinnerungen an die Genüsse ihrer Kindheit waren einfach zu stark: an die vor frischester Ware überbordenden Wet Markets in den engen Straßen von Central, wo zwischen den Hochhäusern bis heute lebende Hühner verkauft werden. Oder die vor Aromen strotzenden Nudelsuppen ihrer Mutter. Und wie könnte sie die endlosen Prozessionen unterschiedlichst gefüllter Teigtaschen in den traditionellen Teehäusern vergessen, in denen sie als Kind mit der ganzen Großfamilie sonntags zu Mittag aß. Mit Mitte 20 packte sie in Manhattan ihre Koffer und flog nach Hause. Die große französische Haute Cuisine lernte sie im Hongkonger Drei Sterne Restaurant „Cépage“, die Aromen der kantonesischen Küche hatte sie im Blut. Beste Voraussetzungen also, um ihr eigenes Restaurant zu eröffnen.

Das stylishe Interior Design des „Tate“, eine Etüde in Puderrosa und Beige, verrät die ehemalige Grafikdesignerin, das Menü ist die kulinarische Illustration ihrer Biografie: das ewige Hinund Hergerissensein zwischen Ost und West. Zum Beispiel ihre Steamed Pigeon „Au Sang“, eine nach kantonesischer Art im Bastkorb gedämpfte Bluttaube vom Kultproduzenten Miéral aus der französischen Bresse, die sie mit fermentiertem chinesischem Senfkohl und zwei Saucen serviert: die eine klassisch französisch, aus den Knochen gezogen, die andere entschieden fernöstlich mit chinesischem Essig, Reiswein und „Five Spices“, der beliebten Gewürzmischung aus Szechuanpfeffer, Gewürznelke, Fenchelsamen, Zimtkassie und Sternanis.

Die Ex New Yorkerin, heute 38 und Mutter einer kleinen Tochter, hätte für ihr Homecoming keinen besseren Zeitpunkt wählen können. Die Restaurantszene der World Stadt, noch vor 15 Jahren sehr klassisch geprägt, boomt wie nie. Und auch wenn kantonesische Küche noch immer klar die erste Geige spielt, muss sie sich die Bühne längst mit exzellenten japanischen und französischen, mittlerweile aber auch spanischen, skandinavischen oder orientalischen Auftritten teilen. Zugereiste Küchenchefs aus aller Welt mischen die Restaurantszene am Victoria Harbour ebenso auf wie junge einheimische Köche, die wie Vicky Lau durch eine internationale Schule gegangen sind. Hongkong ist, da gibt es kein Vertun, neben Tokio die faszinierendste Food Metropole Asiens.

Fräulein Wunder in ihrem Restaurant „Tate” im Viertel Sheung Wan bringt die ehemalige Grafik-Designerin Vicky Lau bildschöne, filigran inszenierte Kreationen mit fernöstlich-westlicher Aromatik auf den Tisch.

Die einheimischen Gäste sind kulinarisch enorm erfahren“, verrät Richard Ekkebus, Küchenchef im Restaurant „Amber“ des The Landmark, Mandarin Oriental. „Sie wissen ganz genau, was gut ist und was nicht.“ Kein Wunder in einer Stadt, die nicht weniger als 30 000 Restaurants zählt. Ekkebus, gebürtiger Holländer, in Pariser Spitzenküchen gestählt und seit vielen Jahren überzeugter WahlHongkonger, führt eine Liste von Restaurants, die er gerne besucht – es sind mittlerweile Hunderte. Zu seinen Lieblingsadressen für „funky chinese kitchen“ zählen „Happy Paradise“ und „Ho Lee Fook“. Auch im „Amber“, das im Mai nach aufwendiger Renovierung in komplett neuem Look wieder eröffnete, zeigt sich Ekkebus zunehmend von fernöstlicher Küchenphilosophie beeinflusst: „Wir lassen heute mehr asiatische Weisheit in unsere Menüs einfließen: Sie sind leichter, setzen verstärkt auf Gemüse und Fisch sowie auf starke Aromen wie den fünften Geschmackssinn Umami.“ Neben dem „Amber“ bietet die Worldneu geschaffene Gourmet Etage des The Landmark auch das Weinbistro „Somm“ (über 100 Weine und Sake glasweise) sowie zwei Lokale des japanischen Drei Sterne Kochs Masahiro Yoshitake.