Text: Katharina Hesedenz
Der Rang als schönster aller italienischen Seen ist ihm sicher. Idealtypisch tauchen smaragdgrüne Hügel in das blau-silberne Wasser des Lago di Como. Der wirft seinen Glanz seitjeher auf die berühmten Anwesen, die in immer neuen Bestlagen von den Hängen herabgrüßen.
Fast jeder kennt die ikonische Villa d’Este, George Clooneys Villa Oleandra oder Balbianello, wo Anakin Skywalker und Padmé Amidala ihre Star Wars-Hochzeit feierten. Eine von ihnen, die Villa Passalacqua, wurde kürzlich zum „Best Hotel of the World“ erhoben. Sie loziert, wenige Kilometer von Como, auf einem Grundstück, das im 16. Jahrhundert einem Papst gehörte. Die Villa selbst wurde im 18. Jahrhundert von einem Grafen erbaut und inspirierte Vincenzo Bellini im 19. zu den Opern Norma und La Sonnambula (Sie sind heute in allen Zimmern auf einem von drei Kanälen in Dauerschleife zu hören), Napoleon Bonaparte und Winston Churchill schlenderten durch ihre Gärten.
Heute weht der Duft von frisch gemähtem Gras in die in sanftes Blattgrün getauchte Eingangshalle, die wie das Wohnzimmer eines guten, beneidenswert geschmackssicheren Freundes wirkt, mit viel Platz für ausgesuchte Antiquitäten Kunst und eine Gruppe pastellfarbener Bonbonieren bietet. Ein paar Schritte weiter entdeckt der Besucher plüschige Sofas in der Bar und kostbare Deckenfresken in zwei Speisesälen. Das Treppenhaus strahlt mit gleich neun Murano-Lüstern norditalienische Grandezza aus.
Valentina De Santis erinnert sich noch genau an jenen grauen Herbsttag im Oktober 2018, als sie mit ihrem Vater Paolo zur Versteigerung des Anwesens eintraf. „Unser erstes Gebot war von dem damaligen Besitzer, einem amerikanischen Banker, bereits abgelehnt worden”, erzählt sie. „Noch katastrophaler war, dass wir gegen Bernard Arnault boten. Wir hatten also eigentlich keine Chance.” Als sie trotz Erreichen ihres Limits kurzentschlossen um eine halbe Einheit erhöhte, brach im digitalen Auktionsraum Panik aus.„Wir konnten hören, wie jemand panisch die Freigabe einer höheren Summe forderte, doch es war zu spät. Der Zuschlag ging an uns!”
Die Glückssträhne sollte anhalten. Im Juni 2022 durchschritten die ersten Gäste die Portale des Prachtbaus, der gerade eine dreijährige, 20 Millionen teure Renovierung gegönnt bekommen hatte. Und spürten eine mühelose Kombination von neoklassizistischer Pracht und zeitgenössischer Großzügigkeit. „Für uns war es wichtig“, sagt Valentina, „dass die Gäste sich nicht wie in einem Hotel, sondern wie in einem Privathaus fühlen. Das war Passalacqua schließlich von Beginn an.”
Die De Santis verstehen sich auf die Neugestaltung historischer Bauten, ihnen gehört auch das vielfachpreisgekrönte Grand Hotel Tremezzo in Tremezzina, das in diesem Jahrseinen 111. Geburtstag feiert. „Ich habe als Kind jeden Sommer dort verbracht und möchte den Lifestyle von damals zurückbringen. Er heißt villeggiatura.” In Essenz drückt das Wort die verträumte Flucht in eine friedliche Umgebung aus. Man stelle sich Marie Antoinette oder Bridgerton vor – in italienischem Ambiente. Jedes Familienmitglied hatte seinen Neigungen und Leidenschaften entsprechend zur Rückkehr des verlorenen Lebensgefühls beigetragen. „Mein Vater kümmert sich um Zahlen“, verrät Valentina, „ich bin zuständig für Kommunikation und emotionale Dinge und meine Mutter entwirft die Interiors. Sie hat ein fantastisches Auge für Schönheit.”
Aber es ging um mehr als das. „Alles wird von Familien produziert, mit denen wir befreundet sind und deren Ansprüche so hoch sind wie unsere”, sagt Valentina. Die Seidenvorhänge an den Fenstern, die goldgetönten Spiegel an den Wänden, die Bezugsstoffe der Sitzmöbel und die fabelhaften Tischdekorationen in den Restaurants stammen ausschließlich von feinen italienischen Marken.
Ein einheimischer Kleinbetrieb hat sich komplett auf die Reinigung der sagenhaft weichen Bettwäsche aus Birkenfaser spezialisiert. Und die nach frischer Sommerwiese duftenden Beautyprodukte von Seed to Skin im Spa, deren innovatives molekulares Transportsystem für optimale Wirksamkeit sorgt, werden in Borgo Santo Pietro, einem Weiler westlich von Siena aus handgepflückten Kräutern manuell hergestellt . Selbst die hoteleigenen Riva-Boote (eines davon ist hochseetauglich) sind mit Textilien von Loro Piana ausgekleidet. Nie schien eine Spritztour zum gegenüberliegenden Ufer attraktiver.
Von der zartbernsteinfarbenen Villa aus führen sieben Hektar Garten zum Wasser hinab. Der süße Duft von Rosen, Jasmin und Magnolien liegt in der Luft und wenn man von unten hinauf schaut, stockt der Atem. Vom See aus, dessen Schimmern rund um die Uhr für Dolce-Vita-Momente schenkt, wirkt Passalacqua wie ein modernes Märchenschloss, das auf den Filmkuss von Wes Anderson wartet.
Obwohl das Hotel meist ausgebucht ist, herrscht auf seinen Terrassen schönste Stille. Es gibt eine für Blumen und Kräuter und eine für jeden Pool, eine fürs Indoor/Outdoor-Gym und eine, auf der Hennen um ein elegantes Hühnerhaus herumglucken. Im hintersten Winkel des Parks gelegen, verleitet ein lichtdurchflutetes Casa al Lago mit vier Zimmern zu der Idee, es auf der Stelle zu mieten und Freunde einzuladen. Warum auch nicht?!
Man könnte hier viel Zeit verbringen, ohne sich jemals zu langweilen. Passalaqua arrangiert den Aufenthalt von Anfang bis Ende als Fest für die Sinne. Blumensträuße und süße Etagèren erscheinen wie von Zauberhand, Yoga und Massagen sorgen für eine Extraportion Wohlbefinden und die Kulinarik von Alessandro Rinaldi zelebriert italienische Klassiker. Die Küche, in der es stets berauschend duftet, steht Gästen offen, damit sie eine Kleinigkeit essen oder gemeinsam mit dem Team backen und kochen können. Die meisten lassen sich lieber in einem Salon oder auf einer Terrasse à la carte verwöhnen. Wenn am Abend die Antipasti, Primi und Secondi verzehrt sind, liefern zwei Kellner sich an einem Servierwagen ein unterhaltsames Crêpe-Suzette-Battle. Während die Flammen nochlodern, landen Silberschalen auf dem Tisch, die mit Windbeuteln, flüssiger Schokolade und frisch geschlagener Sahne gefüllt sind. Die Villa, so viel ist klar, war schon immer zu Großem bestimmt. Dass sie nun den Preis von World‘s 50 Best erhielt, kam dennoch als Überraschung. Die Auszeichnung wäre für jedes Hotel der Welt ein Triumph, für ein Haus mit nur 24 Zimmern bedeutet sie viel mehr als das. Sie liefert die Bestätigung, dass selbst ein klein-feines Familienunternehmen in einer so hart umkämpften Branche wie der Hotellerie einen David-Sieg gegen Goliath-Gruppenerringen kann. Und wie begründet die Jury ihre Entscheidung? „Der Comer See in seiner glamourösesten und luxuriösesten Form mit einem Hauch von Bohème“.
Ab 2745 Euro, Via Besana, 59, Moltrasio, T. +39.031.443 11, passalacqua.it