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Big Five (and little birds)

Eines hat unser Autor in Sambia gelernt: die Faszination für Afrikas Tierwelt wird um so grösser, je intensiver er sich mit den kleinen Dingen beschäftigt

Text und Fotos: Michael Hannwacker

Im South Luangwa National Park ist die Leoparden-Population so groß, dass Besucher mit einer Begegnung rechnen können

„Safari?“ An einem Sonntagnachmittag stößt er auf dem Webbrowser auf einen Eintrag über einen Nationalpark in Sambia: „Entlang des Luangwa ­Flusses und seinen Lagunen“, heißt es da, „wimmelt es von Nilpferden und Krokodilen. Er ist die Lebensader für mehr als 60 Säugetier­ und über 400 Vogelarten.“ Mehr noch: „South Luangwa National Park ist einer der bekanntesten in Afrika für Wandersafaris.“ Das war schon immer sein Traum: Impalas und Gnus nicht nur vom distanzierten Rang eines Jeeps zu erleben, sondern auf Augenhöhe. Denselben Boden zu betreten, einzutauchen in ihren Lebensraum. Und nun erfährt er, dass just dieser Park das Pionierprojekt von Norman Carr (1912–1997) war, dem legendären Erfinder der walking safaris, deren Teilnehmer statt mit Gewehren Fotos schießen. Schon vor dem Krieg war der Urvater des Naturschutzes in Sambia, erschüttert über das zerstörerische Ausmaß der Wilderei, überzeugt, dass nur sanfter Safaritourismus und die Wertschätzung der lokalen Bevölkerung für ihre Umgebung dieselbe bewahren können. Später errichtete er Camps an den Ufern des Luangwa, die, behutsam modernisiert, heute von Time+Tide betrieben werden. Das von Investmentbanker Thierry Dalais gegründete Unternehmen pflegt Carrs Erbe, mit Guides, die zum Teil noch bei ihm gelernt haben. Er ist begeistert. Es stört ihn nicht, dass die Anreise viel Zeit und mangels besserer Verbindungen eine Übernachtung in Lusaka beansprucht. Der Veranstalter empfiehlt die vom Deutschen Ulrich Klose geführte Wild Dogs Lodge, nur 15 Minuten vom Flughafen entfernt im Norden der Millionenmetropole. Seine Ungeduld steigt. 

Ein paar Wochen später: Es ist später Vormittag, als er endlich in der Provinzstadt Mfuwe landet. Auf der Fahrt zum Park beobachtet er Kinder in Schuluniformen auf dem Heimweg, der Rest der 17000­Einwohner­Stadt hat sich vor der sich aufbauenden Hitze in den Schatten ihrer Häuser und Hütten geflüchtet. Nach einer Dreiviertelstunde überquert er den Luangwa, der hier die Grenze zum National Park markiert. Auf den ersten Kilometern registriert er das typische Nebeneinander von Gras, Sträuchern mit und ohne Blättern, abgestorbenen Bäumen, solchen mit dichten grünen Kronen oder gar violettfarbenen, fliederartigen Blüten. Bald tauchen die ersten, erstaunlich entspannten Antilopen am Wegesrand auf. Dann wird es zusehends wilder. Auf einem offenbar ausreichend bequemen Ameisenhügel ruht ein mächtiger Löwe; sein Hecheln verrät, dass er erst kürzlich reich gespeist haben muss. Kurz darauf üben sich zwei junge Elefantenbullen in einem fast ausgetrockneten Nebenarm des Flusses im Kampf. In unmittelbarer Nähe nehmen andere Elefanten ein kühlendes Schlammbad. Und das nicht einmal eineinhalb Stunden nach seiner Ankunft in Mfuwe. 

Die Walking Safari führt von Kakuli (li.) zu den Stroh-Chalets in Mchenja

Am nächsten Tag, gleich nach zwei über einem offenen Kohlegrill zubereiteten Spiegeleiern, beginnt das Abenteuer: eine Wanderung flussaufwärts zur rund sieben Kilometer entfernten nächsten Time + Tide Lodge. Der Morgendunst hängt noch über dem Luangwa, als Adam, der Guide, bereits zum Aufbruch drängt. Er will spätestens um 8:30 Uhr ankommen, bevor es zu heiß wird. Dennoch wird daraus nichts, es gibt zu viel zu sehen.

Walking Safaris sind der einzige Weg, Impalas und Gnus nicht nur vom distanzierten Rang eines Jeeps zu erleben, sondern auf Augenhöhe

Im Gänsemarsch ziehen sie los – an der Spitze Priest, der Mann mit dem Gewehr, gefolgt von Adam, ihm und Richard, der später brühheißen Kaffee, hausgemachte cookies und biltong aus seinem Rucksack zaubern wird. Einige Streckenabschnitte decken sich mit dem „Hippo Highway“, wie Adam ihn nennt, also den Pfaden, auf denen Nilpferde nach Einbruch der Dunkelheit vom Ufer in den Busch aufbrechen, um ihre Abendmahlzeit einzunehmen.

Überhaupt schaut er viel auf den Boden, ein Lehrbuch gegenseitiger Abhängigkeiten in der Natur. An den kalkweißen Ausscheidungen der Hyänen etwa halten sich Stachelschweine und Schildkröten gütlich, die mit dem Kalzium darin ihre Stacheln und Panzer aufbauen. Und früher, erinnert sich Adam, als sich die Schule keine Kreide leisten konnte, schrieben die Lehrer damit auf die Tafel. Kurz darauf deutet er auf einen Köttel-Teppich, „der den Impalas als Internetkaffee dient, in dem sie zum Beispiel erfahren, welches Weibchen paarungsbereit ist“.

Später führt der Weg, begleitet von Zebras oder Antilopen, in den Busch. Irgendwo entdecken sie die Überreste eines Kampfes, den ein Perlhuhn verloren hat. Wenn sich Giraffen oder gar Elefanten in den Weg stellen, nimmt der Trupp einen Umweg durchs Gestrüpp, um den Tieren Raum zu geben. Er ist sich nicht ganz sicher, ob ein bisschen Abstand nicht auch gut für sein weiteres Wohlergehen ist.

Drunten im Luangwa tummeln sich die Flusspferde ….
… während Priest, der Tracker auf der Walking Safari, auf den Sicherheitsabstand achtet

Es ist fast 10 Uhr, als sie Mchenja erreichen, auch ein Platz, den schon Carr für ein Camp nutzte. Jetzt versammeln sich hier fünf so genannte Chalets, aus Stroh errichtet wie die Sichtschutz spendenden Paravents davor. Von einem Moskitonetz vor Mücken und frechen Pavianen geschützt, legt er sich in die Badewanne und lauscht dem Soundtrack des Busches, den er gerade durchmessen hat.

Am selben Tag, in der Dämmerung, nähern sie sich einer lauernden Leopardin. Tiere in der Umgebung stoßen Warnrufe aus, dabei können sie unbesorgt sein. Die Wildkatze hat ihren Fang längst gemacht. Sie verfolgen sie durch das Unterholz, bis sie unter einem Baum kurz innehält, das Opfer ihrer morgendlichen Jagd aufgreift, blitzschnell in einen hohen Ast des Baumes schleppt und unmittelbar beginnt, es zu verzehren.
24 Stunden später sitzt er in einer Barke und steuert, vorbei an Treibholz, Hippos und Krokodilen, ein in langen Reihen und Geschossen durchlöchertes Steilufer des Luangwa an. Hier haben kunterbunte Karminspinte Hunderte von bis zu sechs Metern tiefen Nestern regelrecht in die Uferwände gebohrt. Und er darf in der sinkenden Sonne von der Wasseroberfläche aus zuschauen, wie diese wunderfarbigen Vögel aus ihren Nestern aus und wieder hineinschwärmen.
Am letzten Morgen stolpert er fast über ein Holzschild zwischen Zelt fünf und sechs der wunderbaren Chinzombe Lodge. Vorsicht, fallende Würste, verkündet es. Die Warnung steht unter einer mächtigen Kigelia africana, auf Englisch: sausage tree. Natürlich weiß Safari, was das auf Deutsch heißt: Leberwurstbaum.

Der schwäbische Spezialist Abendsonne Afrika organisiert, ab 7998 Euro, einen achttägigen Aufenthalt mit time + tide im South Luangwa National Park inklusive Verpflegung und allen Ausfahrten sowie Anreise mit Qatar Aieways über Doha nach Lusaka (gegebenenfalls mit Übernachtung) und Weiterreise zum Flughafen von Mfuwe. t. 07343.92 99 80, abendsonneafrika.de

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