Taste
Text: Katharina Hesedenz
Es ist kein Geheimnis, dass Charles Japan als spirituelle Heimat begreift. Die Liebe beruht auf Gegenseitigkeit. Sie hat dazu geführt, dass Deutschlands bekanntester Barmann auch in Nippon als lebendes Kunstwerk und Großmeister verehrt wird. Falls sein Status jetzt noch weiter steigt, ist das seinem neuesten Projekt zu verdanken. In Kyoto eröffnete eine “Les Fleurs du Mal Bar” – und zwar in einem Tempel.
Die möglicherweise spirituellste Bar der Welt: Les Fleurs du Mal im Kangaan Temple in Kyoto
So wie in München hat Charles Schumann auch in Kyoto selbst Hand angelegt. Ein paar Unterschiede gab es natürlich doch. Anders als in die XXL-Räumen am Hofgarten passten in die “Les Fleur du Mal Bar” im Kangaan Tempel höchstens 15 Gäste. In der Küche waltete kein smartes Dreamteam, sondern bescheidene Mönche. Charles entdeckte die kleine Bar der Shinto-Priester, in der vegetarische Klosterküche serviert wird, auf einer seiner Japan-Reisen. Er beschloss, sich dort eine Auszeit zu gönnen, oder eben das, was er als Perfektionist darunter versteht. Immerhin öffnete die Kyoto-Dependence täglich erst um 16.30 Uhr und schloss spätestens um 21 Uhr.
„Ich halte es wie mein Freund Yohji Yamamoto, der sagt: „Ich kenne die Trends, aber sie interessieren mich nicht“
Charles Schumann
Ganz ähnlich ließe sich seine Einstellung zu Geld auf den Punkt bringen. Die Einnahmen aus dem Pop-up-Projekt kommen vor allem dem Tempel zugute. “In Japan gibt es keine Kirchensteuer. Die Mönche müssen schauen, wie sie Geld verdienen”, erklärt ein Münchner Mitarbeiter. Eine mehr aus der Zeit gefallene Location für die Schumanns Bar kann man sich ohnehin kaum vorstellen. Auf Instagram ist ein mit Steinen gepflasterter Weg zu sehen, der durch den Tempelgarten hindurch zu einem zweistöckigen Bau mit geschwungenen Dächern führt. Einen besseren Ort, um sakura mit einem Americano oder einem anderen der “boissons dangereuses des poètes” zu zelebrieren, die auf der Cocktailkarte stehen, gab es wahrscheinlich auf der ganzen Welt nicht.
Wer es nicht gechafft hat, in Kyoto auf einen “gefährlichen Drink für Dichter” vorbeizugehen, der kann in München eine Barjacke mit Japan-Stickerei kaufen
Die Arbeitskluft des Meisters und seiner Mitarbeiter bestand aus der gewohnten Uniform: schwarze Hose, Barschürze und weiße Jacke – mit einem feinen Unterschied. Die Jacketts für sein Pop-Up hatte Schumann mit einem feinen Detail verziert. Die Kyoto-Variante in zwei unterschiedlichen Ausführungen erkennt man an dezenten Stickmotiven auf der Brusttasche. Wer es nicht geschafft hat, im Tempel auf einen “gefährlichen Drink für Poeten” vorbeizuschauen, kann sich zum Trost in München zum fairen Preis eine eigene erstehen, selbst zum Shaker greifen – und den Mönchen etwas Gutes tun.
Mehr Info unter: instagram.com/schumanns_house