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Deep White Blue

Einmal im Leben. Dahin reisen, wohin sich sonst nur Forscher wagen. Mit einem Komfort, von dem Forscher nicht zu träumen wagen. Mit dem besten Schiff, das die Antarktis befährt

Text: Reinhard Modritz

Wir schreiben das Jahr 2024. Dies sind die Abenteuer des Expeditionsschiffs Eclipse, das mit seinen 200 Passagieren unterwegs ist, neue Welten zu erforschen, neues Leben und neue Zivilisationen. Foto: Scenic Gruppe

Sollten jemals Außerirdische die Erde ansteuern und auf der Antarktis landen, wie wäre wohl der Eintrag ins interstellare Logbuch? Vielleicht „Planet entdeckt, frostiges Klima, aber freundliche, elegant gewandete Bewohner in schwarzen Fracks. Rücken eng zusammen, um sich zu wärmen, versteckenden Nachwuchs unter Hautfalten und schnattern unverständlich. Sinnvoller Austausch nicht möglich. Reisen wieder ab.“ Wir dagegen steuern den eisigsten Kontinent der Erde nicht im Raumschiff, sondern per Traumschiff an. Und zwar im Antarktischen Sommer, der uns 18 bis 20 Stunden Tageslicht beschert, während in der Heimat verdrießliche Düsternis herrscht. Das rechtfertigt eine Anreise von 14.000 Flugkilometern via Buenos Aires nach Ushuaia. Schön ist die südlichste Stadt Argentiniens (und der Erde!) nicht, aber wegen der Nähe zum Feuerland-Nationalpark gut besucht. Und ideal als Startbasis für Antarktis-Expeditionen Richtung Süden – ihrem Namen zum Trotz, der „Bucht die nach Osten blickt“ bedeutet.

Kurs auf die Antarktis

Für meine Expedition habe ich die Scenic Eclipse I gewählt, laut Statement – gemeinsam mit seinem etwas jüngeren Schwesterschiff – erste „Discovery-Yacht“ der Welt. Das schnittige Design des 166 Meter langen, 21 Meter schlanken und zehn Decks hohen, schwimmenden Luxus-Boutiquehotels hat sich Scenic-Reeder Glen Moroney angeblich von der Mega-Luxusyacht „Octopus“ des IT-Tycoons Paul Allen abgeschaut (dazu später mehr). Eine 200-köpfige Crew kümmert sich um maximal 228 Gäste in 114 Suiten, die ein „Ultra-Luxury-All-Inclusive-Paket“ mit unvergesslichen Landgängen gebucht haben, das alle Mahlzeiten und sämtliche Getränke umfasst, vom Champagner bis zum raren Single Malt. Meine „Kabine“ atmet edle maritime Eleganz in gedeckten Farben und hält Verbindung zur Außenwelt, dank raumhoher Panoramafenster und einer geräumigen Veranda. Dort stehe ich nun mit Lungen voll reinster Luft, während wir den Beagle-Kanal durchkreuzen, 1831 entdeckt von dem gleichnamigen britischen Forschungsschiff, das Charles Darwin zu den Galapagos-Inseln trug. Die dramatische Kulisse der gebirgigen Küste von Feuerland zieht vor meinen Augen vorbei und die Eskorten der Seevögel, die uns hinaus aufs Meer mit Kurs auf die Antarktische Halbinsel begleiten.

Aber warum eigentlich will jemand dorthin, der exotische Länder und wohl temperierte Meere liebt, kulturelle Erbaulichkeiten und Begegnungen mit inspirierenden Zeitgenossen? Was sucht so einer auf einer menschenleeren, klirrend kalten Landmasse am südlichen Ende der Erde, die größer ist als USA und EU zusammen? Extremsportler wie Reinhold Messner und Arved Fuchs, die in ihrem unbezähmbaren Drang nach Grenzerfahrungen den siebten Kontinent zu Fuß durchquerten, hatten eine eigene Agenda. Mehr noch Pioniere wie Scott und Amundsen, die sich 1911 ihren dramatischen Wettlauf zum Südpol lieferten, um als Entdecker des letzten unentdeckten, im doppelten Sinn „weißen“ Flecken des Planeten Geschichte zu machen.
Aber was will ein Reisender wie ich, der so gut wie alles gesehen hat? Es gibt nur einen Grund: So gut wie alles ist nicht genug. Was noch fehlte auf der persönlichen Bucket List, war das ewige Eis des blauen Planeten. Den ersten tiefen Schlaf verdanke ich den doppelten Hightech-Stabilisatoren der Eclipse. Die sorgen dafür, dass die Discovery Yacht eher zu schweben als zu schwimmen scheint. Kein Mucks, kein Schlingern weckt mich am nächsten Morgen, sondern die pure Lust auf ein verlockendes Frühstücksbuffet. Das wird wahlweise im Yacht Club oder Azure Café angerichtet – und verheißt mehr Verlockungen, als einer schlanken Linie gut tut. Dazu kommt die Aussicht auf die vielen lukullischen Optionen an Bord unter der Regie von Culinary Director Tom Götter: von mediterran-italienisch und spektakulären Steaks im Elements über Asian Fusion im Koko’s bis zur französischen Haute Cuisine im Lumière. Wer kulinarische Kreationen nicht nur genießen, sondern auch mitgestalten will, ist im Epicure richtig, der Scenic-Kochschule unter Anleitung kundiger Meister. Spätestens nach zwei, drei Dinners an Bord weiß man dann: Nicht nur alle Speisen, sondern auch die Gewichtszunahme ist im Preis inbegriffen. Zum Genuss gehört auch geistige Nahrung, vermittelt von den 20 Experten des Discovery Teams – Zoologen, Meteorologen, Historiker, Geografen und Glaziologen – im Theatre, der Event-Bühne des Schiffs. Heute bereitet uns Jonathan Fuhrmann auf die kommende Etappe vor: die 1000 Kilometer lange Drake-Passage zwischen Südamerika und dem siebten Kontinent.

Drake Lake oder Drake Shake?

Hier strömen Atlantik und Pazifik zusammen und bilden ein launisches Seegebiet rund um den Antarktischen Zirkularstrom, der den gesamten Globus umfließt. Was Fuhrmann wie alle erfahrenen Seeleute weiß: Die Passage kann „Drake Lake“ sein, also mild, oder „Drake Shake“, also wild, je nach Laune von Wind und Wetter. Noch vor ein paar Wochen hatte eine Monsterwelle die „Viking Polaris“ schwer beschädigt, die daraufhin nur mit Mühe zurück in den sicheren Hafen von Ushuaia gelangte. Wir haben eine „Lake“-Phase erwischt: Die Sonne strahlt, auf dem kristallklaren Meer kräuseln sich nur kleine weiße Kämme und die Brisen sind sanft, auch wenn sie immer eisiger werden. Was man in Kauf nimmt im Austausch mit dem reinsten Sauerstoff, den man auf Erden inhalieren kann. Benannt ist die Passage nach Sir Francis Drake, dem Piraten und britischen Seeheld, der von 1577 bis 1580 auf seinem Flaggschiff „Pelican“ die Welt umsegelte (allerdings nie selbst die Passage kreuzte, die seinen Namen trägt). Statt Pelikanen – sie meiden die Antarktis –entdecke ich einen Kormoran, der pfeilschnell im Sturzflug in die Fluten stürzt, um kurz darauf mit einem dicken Fisch im Schnabel wieder aufzutauchen. Bald tauchen immer mehr Vögel im Sucher des Fernrohrs auf dem Observation Deck auf –Albatrosse, Austernfischer, Sturmvögel, Skuas, also große Raubmöven und Eselspinguine, eskortieren das Schiff und zeigen an, dass der Kontinent näher rückt.
Erste Eisberge treiben uns entgegen, darunter auch der eine und andere mächtige Brocken. Panik wegen „Titanic“? Keine Sorge: Die Scenic Eclipse fährt mit Polarklasse 6, nur eine Stufe unter Eisbrecher-Niveau. Die See wird jetzt rauer, doch das ist mit einem Schlag vergessen, als Kapitän Erwan Le Rouzic, aus der Bretagne gewöhnt an steife Brisen, übers Mikro den ersten Wal ankündigt: Ein Riesen-Pottwal wie Moby Dick ist es nicht, aber eine ausgewachsene Buckelwal-Kuh, die mit ihrem Baby alle Smartphones und Teleobjektive auf sich lenkt. Zuerst gleitet nur ein grauer Rücken durchs Wasser, dann erhebt sich die gewaltige Schwanzflosse aus der klaren See. Über meinen Rücken läuft ein Schauer. Am vierten Tag unserer Expeditionsfahrt verabschiedet sich die Sonne, Nebel und Wolken hängen über King George Island in den Südlichen Shetland-Inseln,1819 Schauplatz der ersten Anlandung in der Antarktis durch die englischen Seefahrer William Smith und Edward Bransfield.

Und ich traue meinen Augen kaum: Neben uns liegt die „Octopus“, die man seit dem Tod von Paul Allen 2018 für 2,2 Millionen Dollar chartern kann – pro Woche, versteht sich. Sie ist zumindest von außen auch nicht viel eleganter als unsere Eclipse, stelle ich befriedigt fest. Am fünften Tag erreichen wir die Antarktische Halbinsel. Mit ihren Aberhundert Buchten und Fjorden, majestätischen Gletschern und einer 800 Kilometerlangen Gebirgskette ist sie quasi der „Salon“ des Kontinents, sowohl was die landschaftliche Schönheit als auch das Wildlife betrifft. Besonders jetzt, im Antarktischen Sommer, gewährt er faszinierende Einblicke: mit in der Sonne dösenden Robben, Walen auf Wanderschaft und zahllosen Vögeln bei der Brut und in der Mauser.
Vor der ersten Expedition sind die strengen Umweltbestimmungen in der Antarktis zu befolgen. Weil bei Landgängen nichts hinterlassen und mitgebracht werden darf, kleiden sich maximal 100 Personen pro Landgang in ihre vom Schiff gestellten Polarparkas, holen ihre Wellies aus dem persönlichen Spind in der „Stiefelkammer“ und durchlaufen die Desinfektionsdusche. Anschließend begibt man sich eine Treppe hinab über eine Plattform zum Zodiac, der uns an Land bringt. Dort bewahrheitet sich, was Fuhrmann vorausgesagt hat: „Sie werden denken, in einer anderen Weltgelandet zu sein.“ In einer sehr kalten, aber heilen Welt. Die Pinguine und Robben, denen wir uns nähern, schnattern und röhren bei unserem Erscheinen munter vor sich hin, fürchten offenbar nichts Böses von den Besuchern. Und als wollte da noch jemand auf sich aufmerksam machen, bläst auch wieder ein Wal ganz nah vor der Küste. Beim nächsten Landgang wage ich mich schonweiter vor: Und zwar in ein Kajak, in dem je zwei Gäste bei ruhiger See durch das in Schönheit erstarrte, strahlend weiße Wunderland paddeln dürfen. Sich einem Gletscher zu nähern, der durch knackende Geräusche ein baldiges Kalben ankündigt, wäre vermessen. Aber was macht man, wenn direkt neben unserer Nussschale der Buckel eines Wals auftaucht, gefolgt von seiner Schwanzflosse, die auf das Wasser klatscht? Man freut sich, nach dem ersten Schrecken, wie ein Kind, das ein besonders großzügiges Geschenk bekommen hat. Allerdings bin ich auch dankbar, nicht auf einem Stand-up-Paddel unterwegs zu sein – für mich eine der abenteuerlichsten Optionen im Angebot des Discovery Teams. Man könnte ja hineinfallen ins eiskalte Meer!

Sprung ins kalte Wasser

Oder man tut es freiwillig. Wie ich tags drauf im Lemaire-Channel. Man soll sich ja steigern im Austesten von Grenzen. Also melde ich einen Sprung an ins Südliche Meer, zögere kurz – und spring von der Zodiac-Plattform kopfüber in die eisigen Fluten. Als Anerkennung erhalte ich das „Antarctic Plunge Pool Certificate“ mit Angabe der Wassertemperatur: –1 Grad Celsius. Und werde abends zum Fine Dining am Chef’s Table geladen. Doch bevor ich mir das göttliche Elf-Gänge-Menü einer vietnamesischen Kochkünstlerin namens Strawberry munden lasse, wärme ich mich, zugegeben, im Dampfbad des Senses Spa wieder auf. Kann man unvergessliche Erlebnisse noch steigern? Auf der Eclipse kann man – mit einem Erkundungsflug in einem der beiden „Airbus Eurocopter EC 130-T2“ an Bord, dem leisesten Hubschrauber der Welt. Oder bei einer Tauchfahrt mit dem U-Boot Scenic Neptune. Beides kostet ordentlich extra, ich entscheide mich für den Heli. Und bekomme wenigstens eine Ahnung davon, was Aliens empfinden würden, die sich der Erde in Richtung Südpol nähern. Zum Abschied am letzten Abend in der Antarktis schalte ich auf meiner Veranda noch einmal alle Sinne an: atme die reine Luft, wittere den Duft des Meers, lausche der Stille, nur untermalt vom sanften Plätschern der Bugwelle, bewundere das Glühen auf der Gebirgskette der Antarktischen Anden. Beobachte noch einmal, wie Adelie-Pinguine am Schiff vorbeiflitzen, wie ein Stundenglasdelfin in die Höhe springt, wie sich Robben auf einer Scholle zusammen klüngeln, warte noch auf ein letztes Blasen eines Wales – und zwicke mich dann in den Arm um zu prüfen, ob all das denn wahr sein kann: eine Welt, die weder Hektik kennt noch Lärm und Müll, keine Kriege und Kriminalität, keine Umweltmisshandlung und Lichtverschmutzung, wo es nichts gibt als Frieden, berührende Stille und die Würde einer unberührten gefrorenen Natur. Und dann frage ich mich: Kann es sein, dass Aliens, die auf Antarktika landen, gleich das Allerbeste von unserer Erde kennenlernen?

Antarctica in Depth

Die hier beschriebene Expeditions-Cruise mit der Scenic Eclipse führte von Buenos Aires über die südlichste Stadt der Welt, Ushuaia, die Shetlandinseln zur Antarktischen Halbinsel und retour.

Die Stationen

Ushuaia, Drake Passage, Paulet Island, Brown Bluff, Turret Point Cierva Cove, Mikkelson, Fournier Bay, Danco Island, Flanders Bay, Lemaire Channel, Pleneau Island und retour

13 Tage Ultra -All-Inlclusive, Flüge von Buenos Aires nach Ushuaia ab 17 915 Euro pro Person, scenic.eu/tours

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