Taste
Text: Patricia Engelhorn
Auf den ersten Blick macht das Menü nicht viel her: Gnocco fritto, Tortellini in Kapaunbrühe und Tagliatelle al ragù hat jede zweite Trattoria in Bologna, Modena oder Parma auf der Karte. Aber Caramel-Crème mit Zwiebeln und Parmesan? Schweinerohwurst Rossini? Aal mit Taubenfüllung? „Wir machen in der Küche genau das Gleiche, was Ferrari in der Werkshalle macht“, erklärt Massimo Bottura. „Wir nehmen das Beste aus der Vergangenheit, betrachten es kritisch und führen es in die Zukunft.“ Moment mal. Fährt der Super-Chef aus Modena nicht Maserati? Und wenn schon. Warum sollte er deshalb zögern, beim wohl bekanntesten Autobauer der Emilia die Tische zu decken – einer Region übrigens, die nicht nur als Italiens Schlaraffenland gilt, sondern auch als Eldorado aller motoristi. Zu den Attraktionen der kleinen Gemeinde Maranello gehören jetzt nicht nur die hypermoderne Ferrari-Produktionsanlage, das Geburtshaus von Enzo Ferrari und das futuristische Ferrari- Museum. Sondern auch das Ristorante „Cavallino“, früher Werkskantine, heute ein von India Mahdavi durchgestyltes Gartenlokal mit Massimo Botturas jüngster Interpretation der lokalen Traditionsküche.
Es heißt, Enzo Ferrari habe jeden Tag mit Mitarbeitern, Kunden und Freunden im „Cavallino“ gegessen. Die Mensa, untergebracht in einem 1942 erworbenen Bauernhaus am Rande des Ferrari-Geländes, diente zunächst auch als Umkleide und Ausbildungsstätte für Arbeitskräfte. Erst Jahre später wurde daraus das Ristorante „Cavallino“, eine gutbürgerliche Trattoria und ein Ort der Geselligkeit, deren Betreiber genauso viel Wert auf gute Küche wie auf gute Laune legten. Ein Schwarz-Weiß-Foto aus den 50er-Jahren zeigt den Hausherrn bei einem fröhlichen Gelage mit prominenten Gästen – an seinem Tisch saßen im Laufe der Jahre so illustre Persönlichkeiten wie Prinz Bernhard von Holland, Prinzessin Lilian de Réthy von Belgien, Grand-Prix-Sieger und Weltmeister wie Jackie Stewart, Jacky Ickx, Niki Lauda, Gerhard Berger und natürlich Michael Schumacher. Käme einer von ihnen heute vorbei, würde er sich erstaunt die Augen reiben. Die in Paris lebende Designerin India Mahdavi tauchte die Fassade des ehemaligen Bauernhauses in tiefes Ferrari-Rot, im Speisesaal leuchten mit gelbem Leder bezogene Bänke, die Terrakottaböden in Rot und Elfenbein erinnern an altmodisch karierte Trattoria-Tischdecken. Eichenholz-Vertäfelungen an den Wänden und Strohsitze auf den Stühlen spielen mit dem traditionellen Dekorationsvokabular italienischer Landgasthöfe, wirken hier jedoch urban, modern, kühn und verspielt.
Die gigantische Küche ist das Reich von Riccardo Forapani. Nach 13 Jahren an Massimo Botturas Seite in der „Osteria Francescana“ wurde er als Chefkoch ins „Cavallino“ berufen. Das gemeinsam entwickelte und häufig wechselnde Menü verbirgt diese Herkunft nicht: Serviert werden traditionelle Gerichte aus Modena und der Emilia-Romagna – aber in einer aufgefrischten, zeitgeistorientierten Version. So wurde aus einem rustikalen Zwiebel-Parmesan-Omelett eine samtig-salzige Crème Caramel mit dunkler Zwiebelglasur und aus einer bäuerlichen, typisch emilianischen Kochwurst ein Cotechino alla Rossini, serviert mit Gänseleber auf Brioche-Brot und an einer fruchtigen Sauce aus regionalen Vignola-Kirschen. Spaß macht auch ein zierliches, rundes Teigdöschen, gefüllt mit winzigen Tortellini auf einem zarten Zungen-Ragù. Der Brisée-Teig ist mit Parmesan aromatisiert, den lose aufliegenden Deckel ziert ein schwarz-goldenes Muster, das ein Motiv vom Portal des Doms von Modena aufnimmt. „Zu unseren Traditionsgerichten gehört der Timballo Ferrarese, eine große gedeckte Torte mit einer gehaltvollen Füllung aus Nudeln, Ragù und Béchamelsauce“, erklärt Riccardo Forapani, „dies ist unsere verfeinerte Interpretation davon.“ Und die Maccheroncini della Lina? Das wiederum ist eine Hommage an Enzo Ferraris Ehefrau, die sonntags zu Hause ihre Pasta mit einer Sauce aus Schinkenresten, Parmesan und Tomaten servierte. Im „Cavallino“ kommen hochwertige Maccheroncini von Felicetti, drei verschiedene Tomatensorten und die klassische Bottura- Parmesancreme zum Einsatz.
Auf den angerichteten Nudeln thronen eine leicht angebratene Schältomate und eine hauchfeine, im Ofen ausgebackene Schinkenscheibe. „Jedes Gericht hat eine Geschichte, die mal mit Ferrari, mal mit Bottura oder mit der Region verwoben ist“, sagt der Küchenchef, „aber die Hinweise sind nur angedeutet. Wir wollen zwar mit der Tradition verwurzelt, aber keinesfalls nostalgisch sein.“ Das Risiko besteht nicht – zu fröhlich der Rahmen, zu innovativ, was auf den Tellern liegt. Als Bestseller unter den Desserts gilt der Paciugo (wörtlich übersetzt: Schmiererei), bestehend aus einer säuberlich angerichteten Mascarpone-Kaffee-Creme, die süchtig macht. Das Gleiche gilt für den perlenden Lambrusco vom Weingut Cantina della Volta, das nur ein paar Kilometer entfernt in den Hügeln nördlich von Modena steht. Der gut gekühlte Rotwein überrascht mit frischer Säure und einem sensationellen, glamourösen Pink-Ton. Er sorgt dafür, dass die gute Laune von früher erhalten bleibt. Die Küche aber hat sich verändert – sie ist eindeutig besser geworden.
Menü 65 Euro, Weinbegleitung 45 Euro Via Abetone Inferiore, 1, Maranello, T. +39.0536.94 48 77, ferrari.com/it-DE/ristorante-cavallino