Stay

Die Institution

Vor 93 Jahren öffnete The Carlyle auf der Upper West Side, eine erste Adresse spätestens, seit es unter Kennedy zum „New York White House“ aufstieg

Text: Christine von Pahlen

Decken und Wänden der legendären „Bemelmans Bar“ sind mit Malereien des gleichnamigen österreichisch-ungarischen Zeichners veredelt

Meet me at ,Bemelmans‘ for a drink“ – auf diese Einladung habe ich Jahre gewartet. Und tatsächlich, als ich New Yorks berühmteste Bar – am frühen Abend eines normalen Wochentags – betrete, umfängt mich eine Aura aus Grandezza und Geschichte. Auf die Wandmalerei, nach deren Schöpfer die Bar benannt ist, bin ich vorbereitet, nicht aber auf das illustre Publikum, das in den ledergepolsterten Nischen und an runden Cocktail-Tischen weit mehr als nur Großstadtflair verbreitet. Earl Rose, ein Grandseigneur des Jazz-Pianos, interpretiert – wie könnte es anderes sein – unsterbliche Cole-Porter-Klassiker, und es würde nicht wundern, wenn Dorothy Parker oder Truman Capote durch die Tür marschierten, um den angeregten Small Talk mit ihren spitzen Zungen zu veredeln. In Erinnerung an den schwarzen Pianisten Bobby Short, der über 40 Jahre im „Café Carlyle“ seine Fangemeinde faszinierte, bestelle ich einen „Bobby’s Manhattan“ (Santa Teresa 1796 Rum, Carpano Antica, Cherry Heering Scrappy’s Orange Bitters, Angostura Bitters, Dried Gypsophila), dazu drei herzhafte Mini Lobster Tacos.

Kunst und Kultur

Ich betrachte die blattgoldverzierte Decke, den massiven Art-déco-Tresen und natürlich Ludwig Bemelmans’ murals. Sie sind das Ergebnis eines Deals, den der österreich-ungarische Zeichner und Kinderbuchautor Ende der 1940er-Jahre mit dem Direktor des Carlyle machte: Bemelmans durfte mit seiner Familie für anderthalb Jahre kostenfrei in einem der Hotel-Apartments wohnen und im Gegenzug den Central Park zu verschiedenen Jahreszeiten an den Wänden der Bar verewigen. Was ihm die Zeit gab, auch einige Zimmer und Suiten sowie private Salons mit den für ihn typischen leicht skurrilen Landschaftsmotiven zu veredeln. Das genau war die „understated opulence“, die der aus Polen stammende, schwerreiche Grundstückspekulant Moses Ginsberg im Sinn hatte, als er sich gegen Ende der Roaring Twenties entschloss, einen gesamten Block an der Ostseite der Madison Avenue, zwischen 76th und 77th Street, mit einem 35 Stockwerke hohen Hotelgebäude und einem angrenzenden elfstöckigen Apartment House zu bebauen.

Das Restaurant „The Gallery“ im Carlyle Hotel mit seinen handbemalten Tapeten und Kelim-Kissen soll an einen Sultanpalast erinnern

Dafür waren der auf Art déco geeichte österreichische Architekt Sylvan Bien und die für ihre neoklassizistischen Prachtinterieurs bekannte Society-Lady Dorothy Draper echte Glücksgriffe. Seit ihrer Eröffnung im Jahr 1930 steht die Hotelikone der Upper East Side für alles, was ein Leben im Hotel angenehm macht. Das beginnt täglich im „The Gallery“, wenn die betuchten Stammgäste aus der Nachbarschaft ihr zweites Wohnzimmer in Beschlag nehmen, die ersten Martinis vor dem Warmwerden bewahren, zum Power Lunch einen Jumbo Shrimp Cocktail ordern oder wie ich zum Afternoon Tea aufschlagen. Ich wähle einen rauchigen Lapsang Souchong zu Scones, Clotted Cream und Erdbeerkonfitüre. Nach den Vorstellungen des legendären italienischen Deko-Papstes Renzo Mongiardino soll „The Gallery“ mit handgemalten, ornamentalen Tapeten und leuchtend bunten Kelim-Kissen an einen orientalischen Sultanspalast erinnern – eine der vielen bühnenreifen Locations des Hotels, zu denen auch das „Café Carlyle“ zählt.

Filmreife Kulisse

Filmfans erinnern sich gerne an die Montagabende, an denen der heute in Ungnade gefallene Woody Allen in der Eddy Davis New Orleans Jazz Band die Klarinette blies. In den letzten Jahren hat sich viel getan. Der Hongkong-Milliardär Cheng Yu-tung übernahm 2011 mit den Rosewood Hotels & Resorts auch die Hotellegende an der Madison Avenue. Zum 90. Geburtstag bestellte das Haus beim Edel-Verlag Assouline eine neue, besonders edle Edition des Coffee Table Book „The Carlyle“ – voller Fotodokumente und mehr als 200 Illustrationen und Bildern der in den letzten zwei Jahren unter Regie von Tony Chi neu gestalteten Zimmer und Suiten. Sie wollen bewegte Bilder? 2018 drehte Matthew Miele den Dokumentarfilm „Always at the Carlyle“, mit kostenloser Unterstützung von Stammgästen wie George Clooney, Jeff Goldblum, Sofia Coppola und Wes Anderson.

Im Cafe Carlyle genießen Gäste Shows mit Broadway Stars zu den mehrgängigen Menüs

Eine kleine Sensation: Vor einem Jahr übernahm die erste weibliche GM in der Geschichte des Carlyle das Zepter. „Es war der ausdrückliche Wunsch von Sonia Cheng, der Tochter unseres Investors“, erklärt die in Australien aufgewachsene Marlene Poynder, die im schlichten schwarzen Business-Outfit mit wenig Schmuck und Make-up die neue Generation der Upper-East-Side-Ladys demonstriert. Ihre Wohnung in Tribecca hat sie aufgegeben und ist mit Mann und Hund in eines der 30 Hotel-Apartments gezogen. „Hunde waren im Carlyle schon immer willkommen“, berichtet sie. „Sie dürfen zwar nicht in unser Fine-Dining-Lokal Dowling’s und auch nicht ins Café Carlyle, wo wir zu den Shows mehrgängige Menüs servieren. Aber überall sonst hin.“ (Stimmt. Ich sehe täglich Hunde mit Hotelangestellten als Gassi-Geher.)

Fürs Auge und den Gaumen

Das Café Carlyle, das während der Sommermonate geschlossen bleibt, liegt Poynder besonders am Herzen: „Es ist unser Aushängeschild, lebt vom schönen Ambiente, von der tollen Küche, aber vor allem von seinem anspruchsvollen Programm. In letzter Zeit konnten wir bekannte Broadway-Stars verpflichten.“ Seit 2021 ist Sylvain Delpique für das kulinarische Konzept des Hotels verantwortlich. Er leitete die letzten sechs Jahre die Küche des „21 Club“, bevor die legendäre New Yorker Institution im Dezember 2020 geschlossen wurde. Dass er Franzose ist, kommt dem Carlyle zugute: „Unsere Gäste lieben offensichtlich Steak Tartare und Escargot auf der Speisekarte.“ Wenn es um seine Interpretation der New American Cuisine geht, stehen ihm Chef de Cuisine Michael Haug und Pastry Chef Ikuma Motoki, die er beide vom „21“ mitgebracht hat, zur Seite.
„Der All-Time-Klassiker Steak Diane ist hierfür ein gutes Beispiel. Ich hebe das Gericht auf einen neuen Level, indem ich den First Cut vom Filet Mignon à la minute am Tisch zubereite.“ Ich darf seine Küche am letzten Abend im Dowling’s genießen. Und träume immer noch von den feinen Geschmacksexplosionen, die Wild Burgundy Escargot, Maryland Crab Cake, Dover Sole und Crêpes Suzette an meinem Gaumen ausgelöst haben …

The Carlyle, a Rosewood Hotel, DZ ab 790 Euro, rosewoodhotels.com

The Carlyle – Buchcover von Assouline

Mit exklusiven interviews und nie zuvor gezeigten Fotografien aus den frühesten Archiven bis hin zu den exklusivsten Partys von heute ist dieses schwergewichtige Coffeetable Book eine Hommage an die reiche Vergangenheit und lebendige Gegenwart dieses einzigartigen, weltberühmten Hotels.

Einführung: James Reginato, Vorwort: Lenny Kravitz, 208 Seiten, 120 Euro, assouline.com

Weitere Artikel