Style
Text: Clara Silberstein
Geht es überhaupt hübscher als Lecce? Wie soll man sich nur sattsehen an der Barockstadt am Absatz des italienischen Stiefels und den vielen mächtigen und opulent mit Fabelwesen, Engeln, Blumen und Girlanden geschmückten Kirchen? An den ambitionierten Kunstgalerien und kreativen Handwerkerateliers, dem hinreißenden Wochenmarkt, den schmalen Gassen und weiten Plätzen aus hellem Sandstein mit den vielen kleinen Läden und reizenden Cafés? Und apropos satt: Die überraschend große Auswahl an wirklich guten Trattorien haben wir noch gar nicht erwähnt. Geschweige denn die komfortablen Übernachtungsmöglichkeiten: Das Fiermontina Urban Resort, der Palazzo Bozzi Corso oder das Patria Palace glänzen mit fünf Sternen – nicht schlecht für ein knapp 100000-Einwohner-Städtchen!
Palazzo Luce aber, der im vergangenen Sommer als höchst exklusives Ferienhaus eröffnete, spielt noch mal in einer anderen Liga. Das Anwesen aus dem 14. Jahrhundert war ursprünglich für Maria d’Enghien, Gräfin von Lecce und spätere Königin von Neapel, errichtet worden. Die Aristokratin verfügte über einen exquisiten Geschmack: Sie ließ wunderschöne Majolika-Fliesen anfertigen, kunstvolle Fresken in den Deckenputz malen, Türrahmen vergolden und einen weitläufigen Garten mit Blick auf Lecces altrömisches Amphitheater anlegen.
Rund 700 Jahre später entdeckt Anna Maria Enselmi den Komplex, der im 18. Jahrhundert umgestaltet worden war und eigentlich Palazzo dei Conti di Lecce heißt. Sie sieht die Sonne durch die drei Meter hohen Fenster des Piano nobile strömen, läuft unter sechs Meter hohen Decken durch endlose Korridore und weitläufige Salons und denkt an ihre einzigartige Kollektion von Möbeln des 20. Jahrhunderts, für die sie schon lange einen angemessenen Standort sucht. „Mein erstes Designerstück war ein kunterbuntes Carlton-Regal von Ettore Sottsass“, erzählt die Mailänder Sammlerin mit apulischen Wurzeln. „Es kostete 16 Millionen Lire, und weil ich die als 22-jährige Studentin nicht hatte, bezahlte ich in 25 Raten.“ Enselmi studierte damals Tanz und Kommunikationswissenschaften und eröffnete bald eine exklusive Pilates-Akademie, die in Mailand besucht, wer auf sich zählt und in shape bleiben will. Doch die Liebe zum Design blieb ein ständiger Begleiter. Nach und nach erwirbt Enselmi gut 70 ausgesuchte Glanzstücke, darunter Paravents von Gio Ponti, Stühle von Ico Parisi, Deckenlampen von Hans-Agne Jakobsson, Spiegel von Ettore Sottsass und futuristische Liegen von Oscar Niemeyer. Nur: Wohin damit? 2016 kauft sie den 1500 Quadratmeter großen Palast in Lecce, lässt ihn fast fünf Jahre lang restaurieren, umbauen und einrichten – langsam, sorgfältig und immer mit der Prämisse, alles, was original erhalten werden kann, original zu erhalten. Was entsteht, würde als veritables Design Museum Furore machen. Doch Anna Maria Enselmi entscheidet sich für ein Gästehaus, und zwar für eines, das diesem Begriff wirklich gerecht wird: angenehm, stilvoll, faszinierend und trotz der hochkarätigen Kunst und der vielen einzigartigen Möbel absolut lässig und unprätentiös. Wie erreicht man das? „Indem man alles so einrichtet, als ob man selbst einziehen wollte“, erklärt die Besitzerin „idealerweise mit Kind und Kegel und der Aussicht auf jede Menge Besuch.“
Der Palazzo Luce, so getauft wegen seiner außergewöhnlichen Lichtverhältnisse und seiner letzten Bewohnerin Signora Luce, bietet tatsächlich ausreichend Platz für eine Großfamilie: Es gibt sieben Suiten, jede mit Wohnzimmer und großzügigem Bad. Wände, Decken und Böden sind mit geschmeidigem Tadelakt oder mit reich gemasertem Marmor verkleidet, die beiden obersten Suiten punkten mit maßangefertigten Fliesen, deren leuchtend gelbe Muster die minimalistische Raumgestaltung unterstreichen. Mal steht ein Gio-Ponti-Schreibtisch neben einem Rohrsessel von Franco Albini, mal beleuchtet eine Jakobsson-Lampe ein Sesselpaar von Pier Giulio Magistretti. Im Empfangsbereich liegt ein federförmiger Teppich von Maarten De Ceulaer, in der Küche baumelt eine Konstantin-Grcic-Hängeleuchte von der Decke. Doch auch die besten Designstücke brauchen Gegenspieler. „Als ich mit der Einrichtung von Palazzo Luce fertig war“, erzählt Anna Maria Enselmi, „fiel mir auf, dass etwas fehlte: Kunst. Ich bat die Galeristin Lia Rumma um Rat“, mit Niederlassungen in Neapel und Mailand eine der wenigen wichtigen, international vernetzten Kunsthändlerinnen Italiens. Sie vermittelte Arbeiten von großen Namen wie William Kentridge, Marina Abramovic, Vanessa Beecroft und Thomas Ruff nach Lecce und kümmerte sich höchstpersönlich um die optimale Platzierung der Werke. Nun hängt in einer der Suiten eine Gruppe von Pergament-Zeichnungen von Antonio Marras, in einer anderen ein gigantischer Druck aus Thomas Ruffs „press ++“-Serie und eine Schwarz-Weiß-Fotografie des Strombolicchio Felsen von Mimmo Jodice. „Lia verbrachte allein vier Stunden damit, die Reihenfolge von Ugo Mulas’ zehn Silbergelatine-Abzügen von Marcel Duchamp festzulegen“, erinnert sich Signora Enselmi. „Die Fotografien schmücken jetzt eine Suite in der obersten Etage.“ Gleich nebenan öffnet sich die 300 Quadratmeter große Dachterrasse mit Gio Pontis Gartenmöbeln, den gestreiften Sonnensegeln von Guido Toschi und einer Neon-Arbeit von Joseph Kosuth. Man kann diese akkurat arrangierten Dinge bestaunen oder bei einem Glas Wein über den Garten hinweg in den Sonnenuntergang schauen – Palazzo Luce ist schließlich auch und vor allem ein sehr schickes, sehr komfortables Ferienhaus. Als solches bietet es seinen Bewohnern auf Zeit ein stilles Spa, einen schlanken Pool, eine gut sortierte Bibliothek und ein freundliches Service-Team inklusive eines Kochs, der das Frühstück zubereitet und auf Wunsch auch mehrgängige Menüs mit Köstlichkeiten der apulischen Küche. „Wer im Palazzo Luce wohnt, erlebt die besten Seiten Apuliens“, hofft Anna Maria Enselmi. Contessa Maria d’Enghien hätte sicher beigepflichtet.
Ab 800 Euro/Nacht (drei Nächte Mindestaufenthalt), palazzolucelecce.com