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Monument Valley

Das hat die Welt noch nicht gesehen: eine jahrmillionenalte Felsenlandschaft, jahrtausendealte Kulturen, zukunftsweisende Architektur, moderne Kunst. Erst jetzt öffnet sich AlUla, Saudi-Arabiens Juwel in der Wüste, langsam dem Westen

Text: Reinhard Modritz

Im Licht der untergehenden Sonne präsentiert sich der Jabal al-Fil – wir nennen ihn einfachheitshalber Elephant Rock – am eindrucksvollsten. Ob es hier tatsächlich jemals dickhäuter gegeben hat, kümmert uns nicht

„Wir Araber lieben die Wüste nicht“, konstatiert Fürst Faisal in David Leans Filmepos „Lawrence von Arabien“, „denn in der Wüste ist gar nichts, und kein Mensch braucht gar nichts.“ Da kann ich ihm nicht recht geben, zumindest nicht in der Oase von Al Ula (so die westliche Schreibweise, aber weil die Araber AlUla buchstabieren, wollen wir es aus Respekt von nun an auch so halten), einem magischen Ort 1100 Kilometer nördlich von Saudi-Arabiens Hauptstadt Riad. Denn sie ist, mitten in der Wüste, zugleich ein Wunder der Natur und ein Meisterwerk aus fünf Jahrtausenden menschlichen Schaffens. Die Auszeichnung als Weltkulturerbe wird ihr kaum gerecht, aber mehr hat die UNESCO als Anerkennung nun mal nicht zu bieten. Was ich in den kommenden Tagen sehen werde, raubt mir den Atem und lässt mich unbedeutsam fühlen angesichts dieser einzigartigen Kulturlandschaft, die bis jetzt vor der Welt verborgen blieb. Ich bin Teil einer kleinen Vorhut, die bereits bestaunen darf, was künftig internationalen Reisenden zugänglich gemacht werden soll. Jedenfalls wenn es nach der Royal Commission for AlUla geht, die Kronprinz Mohammed Bin Salman aus dem Königshaus der Saud höchstselbst dafür ins Leben gerufen hat.

Das große Staunen beginnt schon beim Anflug auf den kleinen Airport. Minutenlang schwebt der Airbus A320 der Saudia Airlines über Schluchten, Gebirgszügen, Inselbergen aus ockerfarbenem Sandstein, geschliffen von Wind und Wetter in Millionen von Jahren, größer und weitläufiger als der Grand Canyon. Sie würden sich gut als Kulisse für einen Western machen, nur dass hier einst mit Weihrauch schwer beladene Karawanen statt Postkutschen vorbeizogen. Manch eine dieser bizarren Formationen sieht so aus, als hätte ein Kind mit Kieseln gespielt und aus Übermut einen besonders großen Stein obendrauf gelegt, gespannt, wann er herunterfällt. Aus dieser sandigen, unwirklichen, nie gesehenen Szenerie erheben sich da und dort einsame Monolithen, die der Erosion standgehalten haben und damit umso spektakulärer wirken.

Besonders der Jabal Al-Fil, der Elefantenfelsen. Der 50 Meter hohe Solitär gleicht tatsächlich einem riesenhaften, versteinerten Dickhäuter. In der Wüste ist also gar nichts? Noch in einem anderen Punkt irrte Faisal. Rund um AlUla zeigt die Wüste nämlich ein sattes Grün. In der Oase liegen die größten Dattelpalmen- Plantagen des Landes, 2,3 Millionen Palmen sind es insgesamt, dazwischen jede Menge Zitronen- und Orangenhaine. Die Bevölkerung lebt hauptsächlich von deren Ernte, und das nicht schlecht. Doch jetzt träumt man hier von einer goldenen touristischen Zukunft, ermutigt von der „Vision 2030“, die der Kronprinz dem Land verordnet hat, um den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel anzukurbeln. Zu den ehrgeizigen Projekten gehört neben den 2000 weitgehend unerschlossenen Kilometern Küste am Roten Meer und der nachhaltigen Wüstenstadt Neom, in der der Verkehr nur unterirdisch fließen soll, eben AlUla.

Damit öffnet sich das konservative Saudi-Arabien der westlichen Welt. Der Airport von AlUla ist ab sofort für den internationalen Luftverkehr geöffnet; die Lufthansa soll ihn schon bald direkt anfliegen, und Touristenvisa werden neuerdings online erteilt. Zudem soll es rund um die Oase legerer zugehen, die Geschlechtertrennung aufgehoben werden und irgendwann sogar das strenge Alkoholverbot in Hotels fallen. Fast noch bemerkenswerter: Vorislamische Kulturen, von strenggläubigen Saudis bislang ignoriert, werden endlich als die Schätze begriffen, mit denen man wuchern kann. „Ägypten hat Gizeh und Luxor, Saudi-Arabien hat AlUla“, zieht der Holländer Douwe de Jong, einer der führenden Köpfe der Royal Commission, die Parallele.

Wie jeden Morgen hatte Mustafa Mohamed, der Fahrer unseres Landcruisers, in seiner weißen Qamis, dem traditionellen Gewand, vor der Tür meines Hotels gewartet (weiß der Himmel, wie er es schafft, trotz des roten Wüstenstaubes immer wie aus dem Ei gepellt zu erscheinen). Nun sind wir unterwegs nach Hegra, wo uns die nächste Sensation erwartet. Die antike Handelsmetropole mit ihren Gräbern von Madain Saleh wäre überall sonst wohl ein Ort, wo Imbissbuden und Souvenirhändler lautstark ihre Waren anbieten und sich Reisegruppen gegenseitig auf die Füße treten. Wir jedoch können die grandiosen Werke der alten Baumeister fast ungestört bestaunen. Die Nabatäer schlugen hier um die Zeitenwende ihre nach der Hauptstadt Petra im heutigen Jordanien zweitwichtigste Niederlassung in die Felsen, dazu über 100 Grabstätten, manche von ihnen so hoch wie Bahnhofsportale, die schon seit 2000 Jahren allen Wüstenstürmen trotzen. Die Zeit scheint hier stillzustehen, und die Wucht der Architektur geht nahtlos über in die monumentale Natur.

Etwas abseits liegt der Berg Jabal Ikmah, sozusagen die erste Open-Air-Bibliothek der Welt. Aberhunderte von Inschriften aus vielen Jahrtausenden zieren die Felsen, ähnlich eindrucksvoll wie die berühmten Höhlenmalereien von Altamira in Nordspanien. Aber welch ein Unterschied. Kein Gitter, keine Verbotstafeln, keine Eintrittsgebühren; wir sitzen einfach im Schatten und bestaunen die kunstvollen Jagd- und Kriegsszenen. Da zwischen simple Symbole, Umrisse und Abdrücke von Händen. Sind dies etwa steinzeitliche „Selfies“, nach dem Motto „ich war auch hier“? am nächsten Tag steht ein Stadtbummel auf dem Programm. Viel Verkehr haben wir dort nicht zu erwarten, denn die „Old Town“ von AlUla, ein Labyrinth von gut 900 Lehmziegelhäusern aus dem 12. Jahrhundert, ist unbewohnt. Eine Geisterstadt? Ja, wenn man so will. Aber man muss nur mit ein wenig Fantasie in die Vergangenheit reisen, dann drängen sich in den Gassen Mensch und Tier, führen auf Marktplätzen Weihrauchhändler und Märchenerzähler ein tolles Theater auf, dringen aus Gasthöfen gut gelaunte Wortfetzen und aus der alten Karawanserei das Blöken von Dromedaren.

„Richtig“ lebendig wird die Stadt im neuen Teil, in dem die etwa 5000 Einwohner wohnen. Auf der alten Weihrauchstraße, auch heute noch die Main Road, laden Restaurants und Cafés zum Verweilen, Läden und Marktstände mit Kunsthandwerk zum Stöbern ein. Aber das ist erst der Anfang: Ein Souk und Museen sind schon in Planung. Sightseeing macht hungrig. Das Maraya gleicht zwar einer Fata Morgana, ist aber die beste Adresse in der Wüste. Den rundum mit 10 000 Quadratmetern verspiegelten Kubus hat das Mailänder Architekturbüro Giò Forma aus dem Boden gezaubert, der zukunftsweisende Bau refl ektiert je nach Uhrzeit die Felsen oder den Sternenhimmel und verschwindet so fast völlig in der Umgebung. Er beherbergt eine Bühne, auf der schon Andrea Bocelli und Lionel Richie auftraten; Anfang des Jahres beendete der Gipfel des Golf-Kooperationsrates die Spannungen zwischen Saudi-Arabien und Katar. Auf dem Dach samt Terrasse thront das „Maraya Social“, wo sich heute zur Eröffnung der mit drei Michelin-Sternen dekorierte Jason Atherton die Ehre gibt. „Die Region hat eine erstaunliche Vielfalt an Produkten und lokalen Zutaten“, verkündet der britische Starkoch und verspricht seinen Gästen einen unvergesslichen Abend. Sein Engagement verrät die Richtung, die AlUla nehmen soll, ebenso wie die Hotels, die sich in der Region ansiedeln werden. Das Shaden war das erste Haus von gehobenem Standard in der Region.

Es bietet zwar gefühlt nur vier Sterne, liegt aber derart dramatisch inmitten eines Felsenkessels, dass man dafür ehrenhalber gern den fünften verleiht. Und wenn des Morgens der Ruf des Muezzins zum Gebet von den Steinwänden widerhallt, ist selbst der „ungläubige“ Besucher tief ergriffen. Dafür sorgt auch die Morgensonne, wenn sie eine Landschaft von magischem Reiz zum Leuchten bringt: goldgelben Wüstensand und rötliche Sandsteinklötze, wie gestaltet vom Schöpfer höchstpersönlich, um dem Reisenden Ehrfurcht vor der Natur zu lehren.

Und was machen die Mitbewerber in Sachen Luxus? Gerade eben hat die gleichnamige Hotelgruppe aus Mexiko das Habitas AlUla mit 96 Zeltvillen eröffnet, Banyan Tree macht es ihr im Frühjahr 2022 mit 79 Fünf-Sterne-Villen nach. Aman schlägt gleich an zwei Standorten auf, unter anderem mit einem superluxuriösen Zeltdorf. Und aus London bringt der legendäre Nachtclub „Annabel’s“, Playground unter anderem der Windsors, einen Ableger in die Wüste. Auf illustre Gäste setzt auch der französische Stararchitekt Jean Nouvel mit dem Shaaran Nature Resort, dem zweifelsfrei visionärsten Projekt in AlUla. Dafür lässt der Pritzker-Preisträger 40 Luxussuiten wie einst die Nabatäer und Lihyaniten ihre Höhlen-Lofts und Grabmäler in die Felsen schlagen. Weil aber der Standort mitten im Naturschutzgebiet liegt und „diese grandiose Landschaft etwas Jungfräuliches hat, das es zu bewahren gilt“, beschränkt Nouvel seine Eingriffe auf ein optisches Minimum. Von außen wird das Resort kaum wahrzunehmen sein: Es verbirgt sich gänzlich im Gestein, ein gläserner Aufzug inklusive, der die Gäste zu den Suiten, den Restaurants und den Lounges auf der Klippe trägt.

Läuft alles nach Plan, werden 2024 die ersten Gäste begrüßt. Schon heute öffnet Aziz, der verantwortliche Ranger, für uns das Gitter zum Sharaan Nature Reserve. Es ist zehnmal so groß wie das Fürstentum Liechtenstein und, trotzdem es nur aus Sand und Felsen zu bestehen scheint, voller Leben. Zahllose Arten wilder Blumen gedeihen hier, tummeln sich ebenso so seltene wie hinreißende Tiere: Edmigazellen, Nubische Steinböcke, Rothalsstrauße und Wüsten-Murmeltiere, die auf ständiger Hut vor Arabischen Wölfen kaum zum Schlafen kommen. Am Himmel kreisen Bienenfresser, Kammlerchen und Felsentauben, die in der zerklüfteten Landschaft Schutz vor Bussarden und Adlern finden. Nur ein ganz seltenes Exemplar lässt sich nicht blicken. „Vom Arabian Leopard soll es weltweit nur mehr 200 Tiere geben“, schätzt Aziz. „Die Royal Commission hat es sich zur Aufgabe gemacht, ihn hier im Reservat wieder anzusiedeln.“ Zum Abschied steigen auch wir in die Lüfte: Douwe hat einen Heli organisiert. Noch einmal breiten sich unter uns all die Schätze aus, die wir erkunden durften: die Palmenoase, das antike Hegra, AlUla Old Town, der Jabal Ikmah, der Elephant Rock, der Spiegel- Kubus. Viel zu kurz die Zeit, um all die Eindrücke zu verarbeiten, noch so vieles bleibt unerforscht, wie die Relikte der Königreiche von Dadan und Lihyan. Ich nehme mir das Versprechen ab, wiederzukommen – vielleicht ja, wenn Jean Nouvels Meisterwerk in der schönsten aller Wüsten seine Pforten öffnet.

GOOD TO KNOW

Anreise: Lufthansa fliegt täglich von Frankfurt nach Riad. Von dort weiter mit Saudia Airlines zum Prince Abdul Majeed bin Abdulaziz International Airport von AlUla, saudia.com. Ab 2022 ist ein Direktflug Frankfurt – AlUla im Gespräch

Wohnen: Shaden Resort, 121 Zimmer und Villen, Street Hail, AlUla,
shaden-resort.com
Habitas AlUla, 96 Zeltvillen, Ashar Valley, AlUla, ourhabitas.com
Banyan Tree Wadi Ashar Resort AlUla, 79 Zelte, Villen und Zeltvillen, Ashar Valley, banyantree.com

Weitere Infos: Informationen über Hotels, Preise, Sehenswürdigkeiten und Exkursionen bei Experience AlUla, experiencealula.com