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Peace Corps

So stiftet man Frieden: Ein indischer Mischkonzern hat das Old War Office in London in eine Oase des Müßiggangs verwandelt

Text und Fotos: Michael Hannwacker

60 Jahre arbeiteten nahezu 3000 Menschen im alten Verteidigungsministerium

Das Vorurteil

Auf kaum eine Hoteleröffnung hat London so ungeduldig gewartet wie auf die Ankunft von Accors Nobelmarke Raffles in Westminster. Das Publikum kannte das Old War Office, vor bereits neun Jahren an die heutigen Besitzer verkauft, vor allem als JamesBondKulisse (siehe auch TW 62, Seite 126). Jetzt agieren hier überwiegend betuchte Besucher aus dem Commonwealth.

Die Backstory

1909 aus 26 000 Tonnen Kalkstein von der Insel Portland und 25 Millionen Backsteinen errichtet, hat der Riesenbau in Westminster zweifellos Geschichte gemacht. Churchill amtierte hier ebenso wie etliche andere Verteidigungsminister (von John Profumo ist überliefert, dass seine Frau die Holzverkleidungen seines Amtszimmers hellblau streichen ließ), der DDay wurde hier geplant, der britische Geheimdienst arbeitete in seinen Kellern, und ein gewisser Ian Fleming hatte hier, als British Naval Intelligence Officer, etliche Jahre einen Schreibtisch. Jetzt stehen den Gästen statt der einst 1100 Büros entlang meilenlanger Korridore (auf denen damals Botenjungen mit dem Fahrrad unterwegs waren) nur mehr 110 Zimmer und Suiten zur Auswahl. Von denen selbst die kleinsten laut Preisliste nicht unter einem vierstelligen PfundBetrag zu haben sind.

Auf der „Grand Staircase“ aus Carrara Marmor ist ein imposanter Auftritt garantiert

Der erste Eindruck

… ist der gewaltige Treppenaufgang aus Carrara Marmor, auf dem sich die höheren Ränge des britischen Militärs versammeln mussten, wenn William Churchill, Kriegsminister von 1919–21, seine morning briefings von einem Balkon im zweiten Stock verkündete. Den verschleiert jetzt ein auf Murano handgeblasener, doppelter Kugellüster. Wie den militanten Mammutbau überhaupt seine Umwidmung zum Hotel – jetzt mehr Raffles als Old War Office – nachhaltig befriedet hat. Und es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet eine indische Familie – laut „Forbes“ die reichsten Menschen im Königreich – eine stillgelegte Führungszentrale ihrer ehemaligen Kolonialmacht erobert hat und nun für die Zurschaustellung ihrer zumindest finanziellen Macht nutzt.

Das Umfeld

In unmittelbarer Umgebung befinden sich der Riesenkomplex des heutigen Verteidigungsministeriums, das ehemalige Hauptquartier von Scotland Yard, die Gardedivision des britischen Heers und der Amtssitz des britischen Premiers, Downing Street No. 10. Wenige Schritte entfernt sind Trafalgar Square, Big Ben und die Themse. Zu Piccadilly Circus und Oxford Circus führt ein viertelstündiger Spaziergang. London Heathrow ist kaum eine Stunde entfernt.

Heute genießen Besucher 120 Zimmer und Suiten und einige wenige die riesige Haldane Suite

Die Lebensqualität

Die Familie Hinduja hat Thierry Despont ins Feld geschickt, ein (leider im August verstorbener) Interior Designer, zu dessen Meriten die Innengestaltung der New Yorker Freiheitheitsstatue, des Pariser Ritz und von Villen für Bill Gates oder Calvin Klein gehören. Sein Zauber zeigt sich vor allem in den historisch aufgeladenen Signature Suiten, in denen er alte Eichenholzvertäfelungen und Marmorkamine mit schweren (per iPad zu öffnenden) Vorhängen und gemusterten Stofftapeten umgab.

Die Geschmacksfrage

Besser besoldete Mitarbeiter aus dem benachbarten Verteidigungsministerium entspannen nun bevorzugt in der „Guards Bar“ ihres früheren Headquarters, wo die neuen Wachhabenden die klassischen Zutaten des (im dortigen Raffles erfundenen) „Singapore Sling“ dekonstruieren und zu neuen, sehr überzeugenden Kompositionen aufbauen. Unter den neun Restaurants des Hauses das spannendste ist vielleicht das nach dem argentinischen DreiSterneKoch benannte „Mauro Colagreco“. Er bleibt auch in London sei nem TerroirGedanken treu und verlegt, mit superfrischen Regionalprodukten, gleichsam England ans Mittelmeer.
Übrigens: Wie sein Schwesterrestaurant „Saison“ ist es trotz teurer Materialien angenehm zurückhaltend eingerichtet – so, als wollte man nicht mit dem Prunk vergangener Tage konkurrieren.

Das Extra

Wo einst die Spione des MI6 ihren Feierabend vertranken, tut sich nun – nur für Gäste des Hauses und solche mit persönlicher Einladung – hinter einer Eichentür im Untergeschoss die schwer geheime, ochsenblutrot gestrichene „Spy Bar“ auf. Blickfang über der mit teils sündteuren Flaschen bestückten Theke ist ein halber Aston Martin DB5. Darunter mixen hochbegabte Bartender Cocktails, die von Churchills Lieblingsagentin Christine Granville inspiriert sind. Und die frühere Zimmernummer der Kellerbar? 007.

Ab 1100 Pfund, 57 Whitehall, London, T. +44.20.39 07 75 00, theowo.london

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