Text: Patricia Bröhm Fotos: Das Achental
Wenn andere Köche einkaufen, fahren sie auf den Großmarkt. Edip Sigl nimmt ein Boot zur Fraueninsel. Die liegt mitten im Chiemsee, samt Benediktinerkloster und 1000jährigen Linden. Dort hat auch die Fischerei Lex ihren Steg, wo Sigl, den der deutsche Guide Michelin jüngst als zehnten Dre-Sterne-Koch Deutschlands feierte, den Zander für die Vorspeise besorgt. „Florian Lex weiß genau, wie groß und wie schwer der Fisch sein muss, damit ich ihn optimal verarbeiten kann“, lobt Sigl. Nächster Stopp auf seiner Einkaufstour ist vielleicht der Imker, wo er frischen Wabenhonig fürs Dessert holt. Oder die Sepp’n Bäuerin, die eigens für ihn Wachteln züchtet.
Fast täglich fährt Sigl morgens auf dem Weg in sein Restaurant „Ess:enz“ auch in der Thalhamer Mühle vorbei, einer Fischzucht, die mitten im Grünen bei Amerang liegt, eine Gemeinde nordöstlich des Chiemsees: „Da kann ich mir den Saibling selbst aussuchen.“ Diesmal hält Fischmeister Florian Persch eine besondere Spezialität für ihn bereit, den seltenen Saiblingskaviar – „Er schimmert fast golden, hat ein unglaublich schönes, knackiges Korn“.
Abends, im Menü „Chiemgau pur“, serviert er diese Delikatesse zum Saibling. Den hat Sigl über Holzkohle so gegrillt, dass die Haut fast kross ist und das Fleisch ganz knapp glasig gegart – Aromatik und Güte des Produkts kommen so perfekt zum Tragen. Dazu gibt er feinsämige Sauce auf den Teller, mit der Süße von Erbsen und der feinen Säure von Verjus. Und als Dreingabe eben einen Löffel Saiblingskaviar, dessen feine Körner am Gaumen „derplatz’n“, wie Züchter Florian Persch es nennt. „Seit ich im Achental arbeite, hat sich meine Küche grundsätzlich verändert“, bekennt Sigl. „Die Nähe zu den Produkten wirkt unglaublich inspirierend.“
Schon lange ist der 38-Jährige überzeugter Wahl-Chiemgauer. Aber viele Jahre lang pendelte der Vater von zwei kleinen Töchtern täglich nach München, wo er als Küchenchef das Zwei-Sterne-Lokal „Les Deux“ zu neuen Höhen führte. Dann, mitten in der Pandemie, eine Gelegenheit, die er heute als „Glücksfall“ beschreibt: Er begegnete Motel One Gründer Dieter Müller, der ihm die Führung eines neuen, quasi maßgeschneiderten Restaurants im Golf- und Wellnessresort Das Achental anbot. Im Sommer 2021 war Eröffnung, Sigl kochte sich in kürzester Zeit an die Spitze im Chiemgau, die spätestens seit dem Tod von Heinz Winkler vakant war.
Ein Weg, der nicht unbedingt vorgeschrieben war, den er aber zielsicher gegangen ist. In der Türkei geboren und in Köln aufgewachsen, absolvierte er seine Lehre im nahen Restaurant „Gut Lärchenhof“, wo er früh die Welt der Sterneküche kennenlernte. Von nun an kochte er nur noch in besten Häusern. Als prägend sieht er die Stationen bei Juan Amador („Dort begann mein persönlicher Feinschliff“) und bei Heinz Winkler. In dessen Aschauer „Residenz“ lernte er seine Frau kennen und wie man perfekte Saucen kocht: „Jeden Abend schmeckte der Chef persönlich jede einzelne Sauce ab.“
Saucen sind auch die „Es:senz“ seiner Küche: „Da steckt Seele drin, mein Gusto, mein Geschmack. Das bin ich.“ Man schmeckt es, beim fruchtigen Tomaten Kombucha Sud zur Renke, beim luftiggrünen Petersilienschaum mit Topinambur Einlage und Haselnuss zur Wachtel und, allen voran, bei der phänomenalen Sauce zum Rehrücken: Ihre Basis ist aromatische Rehjus, verfeinert wurde sie mit kleinen Rosinen, deren fruchtige Trockenobst Süße perfekt zum Wild passt.
Aber Edip Sigl ist nicht nur leidenschaftlicher Koch, er versteht sich auch auf den Umgang mit Menschen. Das Team, das er aufgebaut hat, ist auf jeder Position bestens besetzt. Das gilt für Restaurantleiter Simon Adam, der im Münchner Königshof verinnerlichte, wie man Gästen jeden Wunsch von den Augen abliest. Aber auch für Sommelier Iiro Lutter, der schon mal einen Nachmittag lang im Keller Weine verkostet, bis er das perfekte Match für ein Gericht gefunden hat. Und natürlich für Patissière Désirée Nieder, die den Gästen zum Kaffee nach dem Menü ihre „Kampenwandpraline“ serviert, gefüllt mit Salzkaramell und von Hand mit gefärbter Kakaobutter bemalt – mit dem Chiemgauer Bergmassiv bei Sonnenuntergang. Der perfekte Abschluss für ein Menü, das von der Liebe eines Kochs zu seiner Region erzählt – und der sich dabei stetig weiterentwickelt. Denn Edip Sigl hat noch viel vor und schon den nächsten Trumpf im Köcher: Seit Anfang 2024 serviert er seinen Gästen Achentaler Wagyu – von Rindern, die nur ein paar Gehminuten von seiner Küche entfernt grasen.
ES:SENZ
6-Gänge-Menü 220 Euro, 8-Gänge-Menü 330 Euro, Mi.–Sa. 18:30–23 Uhr,
Mietenkamerstraße 65, Grassau, T. 08641.40 16 09,
das-achental.com/de/es-senz.html