Text: Patrizia Bröhm
Wenn Jeffrey Vella hinaus in die blaue Weite deutet, die sich vor dem Küstenstädtchen Rovinj erstreckt, meint man, er zeige sein persönliches Eigentum. „Die Adria ist meine Schatzkammer,“ schwärmt er. Stundenlang könnte der Küchenchef des „Cap Aureo“ auf der großen Panoramaterrasse des Restaurants philosophieren. Darüber wie Meerestiefe und Wassertemperatur die Qualität von Fisch und Seafood beeinflussen. „Vor der istrischen Küste gedeihen beispielsweise Jacobsmuscheln und Austern perfekt. Weiter südlich in Dalmatien beträgt die Tiefe bis über 100 Meter. Von dort kommt der schmackhafteste St. Pierre“ erzählt Jeffrey Valla. Die besten Scampi hingegen kauft er von Fischern aus der Kvarner Bucht. „Die sind mit ihrer leicht süßlichen Aromatik unerreicht.“ Warum das so ist? „Weil sich dort die Wassertemperatur am Meeresgrund wegen der Strömungen permanent ändert und die Krustentiere sich ständig anpassen müssen. Das macht ihr Fleisch so zart und geschmacklich intensiv.“
Seit der Eröffnung vor vier Jahren kocht Vella im Gourmetrestaurant des Grand Park Hotel Rovinj. Das Restaurant thront wie ein Schwalbennest am höchsten Punkt des ultramodernen Bauwerks. Der Chef setzt auf Gerichte, in denen er die Schätze Istriens vereint. Dazu gehören erstklassige Meeresfrüchte und bestes Öko-Gemüse aus dem grünen Hinterland. „Life at the bottom“ nennt er eine Kreation rund um Oktopus von der Insel Rab. Er gart ihn butterzart und serviert ihn mit Aglio, Olio e Peperoncino, der traditionellen italienischen Pastasauce nachempfunden. Dazu gibt es ultrafrische Jakobsmuschel aus Novigrad, aufgeschnitten als Carpaccio mit geeisten Zitrusperlen und gegrillter Aubergine, glasiert mit einem Miso, das aus lokalem Fenchel zubereitet wurde. Für den gebürtigen Malteser Vella, der im Laufe seiner Karriere unter anderem für Alain Ducasse und Gordon Ramsay arbeitete, ist Rovinj Wahlheimat.
Tatsächlich ist Istrien heute für viele Besucher zu einem Gourmetziel geworden. Auf der Halbinsel zwischen Triest und Rijeka prägen Weinberge und Olivenhaine die Landschaft. Und in den Wäldern wachsen wilder Spargel, Kastanien und Trüffel. Und: Es kann es mit den schönsten Ecken des Nachbarlands aufnehmen! Dafür spricht auch die Tatsache, dass zusehends italienische Spitzenköche selbst in der Region aktiv werden. Wie etwa Emanuele Scarello, der im friaulischen Udine das Zwei- Sterne-Restaurant „Agli Amici“ führt. Er eröffnete im Sommer 2021 direkt am Yachthafen von Rovinj eine Dependance. Auch hier, im rundum verglasten Bau an der Hafenpromenade, ist der Panoramablick aufs Meer inklusive.
Doch der ist schnell vergessen, wenn Scarello auftischen lässt. Etwa fein gearbeitete Mousseline vom Wolfsbarsch mit Venusmuscheln und Meeräschenrogen, Steinbutt mit Mandelmilch sowie Kapern und Zitrone. Oder, nicht zu vergessen, Spaghetti mit Meereskräutern, fast schon ein Klassiker des Hauses. Die hausgemachte Pasta ist im Stil einer Carbonara mit verschiedenen Strandgewächsen und Algen angemacht und schmeckt wie ein Mundvoll Meer.
Die malerische Altstadt von Rovinj gibt das wohl beliebteste Fotomotiv Istriens ab. Und steht wie kein anderer Ort an der Küste für den Aufschwung der Halbinsel zur gefragten Mittelmeerdestination. In den Gassen, die den Hügel hinaufführen, finden sich zahlreiche Feinschmeckeradressen. Ganz oben, direkt unterhalb der Basilika St. Euphemia, liegt etwa der rundum verglaste Wintergarten des „Monte“. 2020 war es das erste kroatische Restaurant überhaupt, das mit einem Stern ausgezeichnet wurde. Noch stimmungsvoller sitzt man im unprätentiösen „Puntulina“ am Fuß des Altstadthügels. Hier drängen sich die Tische auf Felsklippen direkt über dem Wasser. Und Spitzenköche wie Tim Raue sind im Urlaub Stammgast. Um sich zum Multicolor-Sonnenuntergang über dem dem Meer Wolfsbarsch für zwei am Tisch filetieren zu lassen. Oder sich eine große Serviette umzubinden und fangfrische Krebse mit den Händen zu zerlegen.
Wer Istrien noch mit den Cevapcici-Grillständen des letzten Jahrhunderts assoziiert, liegt definitiv falsch. Heute reicht das Spektrum von ländlichen Trattorien, die Gutes aus eigener Bio-Landwirtschaft servieren, bis zu jungen Spitzenköchen, die das kulinarische Erbe ihrer Heimat kreativ interpretieren. Man trifft sie zum Beispiel an der malerischen Uferpromenade des Städtchens Porec mit seinen ockerfarbenen und karminroten Altstadtfassaden. Hier macht Goran Hrastovcak im Restaurant „Spinnaker“ als junges Talent von sich reden. Der Kroate hat sich den Feinschliff im Drei-Sterne-Restaurant „La Pergola“ bei Heinz Beck geholt, dem besten Koch Roms. Dessen filigrane Pasta-Kunst inspirierte Hrastovcaks hauchzarte Ravioli, gefüllt mit Thunfisch aus lokalem Fang und gartenfrischen Zucchini mit fruchtbetonter Tomatensauce und Polentaschaum. Besonders stolz ist der junge Mann mit dem mächtigen Vollbart auf das Fleisch des heimischen Boskarin- Rinds. Die schneeweißen Tiere mit den markant gebogenen Hörnern sieht man bei der Fahrt über Land oft am Straßenrand grasen. Im Ofen sanft gegart, gerät ihr Fleisch so zart, dass es am Gaumen zu schmelzen scheint.
Nicht nur entlang der Küste, sondern längst auch im idyllischen Hinterland wird die gastronomische Entwicklung Istriens vorangetrieben. Nur eine halbe Autostunde von Rovinj liegt das historische Landgut Meneghetti. Heute beherbergt es ein Relais & Châteaux-Hotel mit 40 Zimmern, ein namhaftes Weingut und eine Olivenölmühle. Der Weg dorthin führt vom Dörfchen Bale über immer schmalere Sträßchen, vorbei an Weingärten und Olivenhainen. Über eine schnurgerade, baumbestandene Allee erreicht der Besucher schließlich ein schmiedeeisernes Tor, das sich wie von Geisterhand öffnet. Auf der Terrasse sitzt man mittags im perfekt restaurierten Innenhof und genießt die Küche von Damir Pejcinovic, dem alles Prätentiöse fremd ist: „Wir sehen uns als istrisch-italienische Trattoria mit Anspruch“.
Hausgemachte Tonnarelli-Pasta mit Kaffee-Creme und karamellisierter Nussbutter gehören zu den Signature-Dishes. Ebenso wie ein Tatar von ultrafrischem Gambero Rosso aus der Adria. Oder Salat von butterzart gegarten Calamari, darüber hauchdünn gehobelte Steinpilze, etwas Kastanie und die Würze von getrockneten Garnelen. Und was trinkt man zu solchen Genüssen? Natürlich ein Glas vom prickelnden Meneghetti Blanc de Blancs Zero Dosage.
Weiter nördlich, nahe der slowenischen Grenze, liegt inmitten grüner Hügel San Canzian, ein winziges mittelalterliches Dörfchen. Heute ist es ein idyllisches Hideaway ist. Die alten Häuser aus dem typischen hellen Sandstein der Region wurden liebevoll restauriert beherbergen 24 komfortablen Zimmern und Suiten. Und auch das Restaurant „Luciano“. Es ist benannt nach dem nahe gelegenen Bauernhof, von dem Küchenchef Pavo Klaric entsprechend dem Farm-to-table-Prinzip einen guten Teil seiner Lebensmittel bezieht. Dementsprechend gibt es tagesfrische Spezialitäten: „Sie haben Glück, unsere Jäger haben heute Fasan mitgebracht“, verkündet der junge Küchenchef am Abend. Eine seltene Delikatesse, die er mit einem ungewöhnlichen Risotto begleitet. Gekocht aus fein gewürfelten Kastanien und mit marinierter Petersilienwurzel garniert. Vorneweg gibt es lokalen Lan – gostino mit gebackenen Feigen, deren Süße durch die Schärfe von Habanero-Sauce konterkariert wird. Dazu kommen eingelegte Gurke und Milchchips, die Frische in die ambitionierte Komposition bringen.
Gleich die Straße hinauf von San Canzian liegt auf einer Anhöhe eine der spannendsten Neueröffnungen der letzten Monate. Das Restaurant „Stara Skola“, zu Deutsch Alte Schule, überzeugt allerdings nicht nur ob seiner Lage. Vor allem die Schule ist ein Highlight. Dementsprechend liebevoll wurde sie restauriert, selbst den hundertjährigen Maulbeerbaum im Innenhof konnte man erhalten.
Küchenchefin Priska Thuring hingegen ist in der Schweiz geboren und auf einer kanadischen Farm aufgewachsen. Mittlerweile lebt seit vielen Jahren in Kroatien. Die „Alte Schule“ ist ihr ein Herzensprojekt. Folglich betont sie: „Wir gehen zurück zu den Wurzeln, kochen nur mit Produkten der Region, nach Rezepten aus der Zeit unserer Großmütter.“ Die wussten offenbar, was gut ist: Dreierlei vom Seehecht, danach klassische Beef- Consommé mit Brotdumplings und schließlich pochierter Rochenflügel im Zucchiniblütenmantel. Dazu schenkt Priska einen „Brombonero“ vom direkt nebenan gelegenen Öko-Weingut Giorgio Clai ins Glas, ein Wein der lokalen Rebsorte Refosco. Er duftet nach reifen Pflaumen und Feigen, er schmeckt nach Bitterschokolade und einem Hauch Tabak. „Dieser Wein hat mein Leben verändert“, bekennt Priska. Er war der Grund, warum sie das Restaurant eröffnet hat: „Eine Region, die solche Weine hervorbringt, kann mir nur Glück bringen.“