Text: Reinhard Modritz Fotos: © Lanserhof/Alexander Haiden
Es war wie verhext. Schon vor zwei Jahren sollte das kühnste Projekt des Lanserhof-Masterminds Christian Harisch die ersten Gäste empfangen. Doch Corona, Lieferantenprobleme, ein Sandsturm gar und nicht zuletzt die Baubehörden hemmten den Fortschritt am Lanserhof Sylt ein ums andere Mal. Zeit ist ohnehin keine einschränkende Dimension für den Lanserhof-Eigner: „Wir planen langfristig, da kommt es auf ein paar Monate mehr nicht an.“ Was für die Zeit gilt, gilt auch für den Raum. Der Lanserhof ist ein in jeder Hinsicht ehrgeiziges Unterfangen, ein Hotelprojekt der Superlative. Und mit zwischenzeitlich 135 Millionen das teuerste Deutschlands. Schon bei der Anfahrt Richtung List im Norden der Insel ist das riesige Reetdach von weither auszumachen, es soll das größte Europas sein. So viel Superlativ kommt nicht bei jedem gut an. Zu groß, zu dominant, zu wenig Sylt; das waren – und sind – die häufigsten Kritikpunkte. Natürlich lässt sich ein Ensemble von sechs Gebäuden nicht in den Dünen verstecken. Aber der neue Lanserhof, so ein erster Augenschein, fügt sich erstaunlich harmonisch in die hügelige Landschaft ein. Überhaupt, so scheint es, ist Stararchitekt Christoph Ingenhoven (ein Blick in das Oeuvre des Düsseldorfers rechtfertigt diese Einordnung) ein großer Wurf gelungen, eindrucksvoller noch als seine Bauten im österreichischen Lans und am Tegernsee.
Die definierende Geste ist das geschwungene Reetdach des Haupthauses, das sich wie drei Finger dem Meer entgegenstreckt. Es ruht nicht auf Mauern, sondern auf einer durchgehenden Glasfassade ohne Ecken und Kanten, sodass der Eindruck entsteht, als würde das Reetdach schweben. Was der Anlage einen schwerelosen Charakter verleiht – eine mutige Interpretation des traditionellen Sylter Baustils. Der Gast jedenfalls freut sich über den Panoramablick auf Dünen und Meer. Ähnlich beeindruckt steht er, nachdem ihn dienstbare Geister an der unterirdischen Vorfahrt empfangen haben, vor der gewaltigen Freitreppe, die sich wie eine Spirale aus Stahl über vier Stockwerke zieht. Sie dürfte schnell das Wahrzeichen der Sylter Dependance werden. Auch wenn auf das ursprünglich geplante gläserne Geländer aus Rücksicht auf nicht schwindelfreie Besucher verzichtet wurde.
Abgesehen von solchen architektonischen Statements, findet der Stammgast aber auch vieles wieder, das er aus den beiden anderen Health Resorts kennt. Wie dort gibt es im Sylter Haus eine Bibliothek, einen Kamin, goldene Vorhänge und das berühmte „Blaue Sofa“, auf dem sich die Gäste zu ihren medizinischen Treatments versammeln. Auch das weiß geölte Eichen-Parkett und Paneele an den Wänden nehmen „Returner“ als vertraute Elemente wahr.
Ingenhoven und seine Interior Designer haben also weder Aufwand noch das Geld der Bauherrn gescheut, um der grandiosen Dünenkulisse etwas Großes oder zumindest Großzügiges entgegenzusetzen. Die Lümmelsofas sind von Cassina, die Eames Lounge Chairs stehen dutzendweise im Living Room, am Kamin und in der Bibliothek, alle sonderangefertigten Polstermöbel, Sitzpoufs, Teppiche, Vorhänge sind von Jab Anstoetz, das Silber-Besteck von Robbe & Berking. Selbst die Fahrstühle sind mit feinstem Leder bezogen und laden, das zeigen die ersten Spuren, zum Streicheln ein. In gelungenem Kontrast zu den sehr zurückhaltenden Interiors in heller Eiche und Beigetönen in allen Schattierungen sind die Uniformen für die 180 Mitarbeiter aus dem Berliner Design-Studio Cruba in kräftigen Farben wie Blau, Grün oder Petrol gehalten. Die Gestaltung der Außenflächen übernahm, wie vorher am Tegernsee, wieder der Italo-Schweizer Enzo Enea, einer der besten Gartenarchitekten Europas. Auf dem 20 000 Quadratmeter großen Areal (auf dem vorher eine – die einmalige Sylter Dünenlandschaft auch nicht eben adelnde – Kasernenanlage stand), gestaltete er nach dem ehrbaren Prinzip Renaturierung. Das passt: Schließlich grenzt der Lanserhof an ein Naturschutzgebiet. Für die – meist kalorienarme – Kost ist Dietmar Priewe zuständig, der ausgerechnet aus der für üppige Portionen berühmten „Sansibar“ kommt; eine kulinarische Herausforderung.
Umso mehr, als die Versuchung für seine Gäste gleich um die Ecke liegt: Zum Kultlokal „L.A. Sylt“ ist es nur ein kurzer Strandspaziergang. Und die beste Eisdiele der Insel lockt gar auf der anderen Straßenseite. Die Medizinische Abteilung hat im Vergleich zu den beiden anderen Häusern noch einmal zugelegt. An Technik wurde alles eingekauft, was es Neues am Markt gibt, ungeachtet der Kosten. Mit dem Diagnose-Zentrum (samt CT und MRT allerneuester Generation, dem einzigen auf der Insel) in den Dünen allerdings wird es wohl noch ein Jahr dauern. Überhaupt, so Chefarzt Dr. Jan Stritzke, soll das medizinische Angebot auch in Zukunft kontinuierlich ausgebaut werden.
Denn anders als in Lans und am Tegernsee gibt es auf Sylt keine nennenswerte Partner-Klinik. „Wir wollen und müssen hier autark sein.“ All das hat naturgemäß seinen Preis. Die Doppelzimmer beginnen bei 790 Euro, die Suiten kosten ein Vielfaches. Und das medizinische Basisprogramm beginnt bei knapp 3000 Euro.
Der Lanserhof Sylt könnte ebenso gut als Fünf-Sterne-Herberge durchgehen. 135 Millionen Euro hat sich Christian Harisch, Hotelier, Co-Eigner und treibende Kraft des Konzepts, das einzigartige Ensemble inmitten der Dünenlandschaft mit Blick auf den Hafen von List und das Naturschutzgebiet des „Ellenbogen“ kosten lassen.