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Rossana Orlandi

Ein bunter Mix aus falbelhaften Stücken: Im Restaurant von Italiens Königin des guten Geschmacks trifft erstklassige Küche auf Weltklasse-Design

Text: Patricia Engelhorn

Im „bistRO“ vereinen sich beste italienische Küche und bestes italienisches Design

Sie ist zierlich, sie ist winzig und weit über 70 Jahre alt. Trotzdem: Rossana Orlandi wird kaum übersehen. Das liegt nicht nur an der übergroßen Brille, die als ihr Markenzeichen gilt, mehrfach geklaut wurde und inzwischen in Zusammenarbeit mit Brillen-Guru Jacques Durand von ihr selbst hergestellt wird. Die Grande Dame des italienischen Designs strahlt eine Aura aus, die schwer zu beschreiben ist. Sie trägt bunte Seidenkimonos und abenteuerliche Sneaker, raucht auch dort, wo es eigentlich verboten ist, kennt Brad Pitt, den Emir von Qatar sowie sämtliche big names der internationalen Designszene. Eigentlich kommt Rossana Orlandi aus der Modebranche. Ihre Eltern besaßen eine Textilgarnfabrik in Cassano Magnago, einem Dorf knapp 40 Kilometer nordwestlich von Mailand – das prägt offenbar. Mit 18 flüchtete sie aus der dörflichen Langeweile nach Mailand. Sie absolvierte ein Modestudium am bekannten Marangoni-Institut, produzierte Garne für Strickwaren, führte ein eigenes Label, beriet Issey Miyake, Giorgio Armani und Donna Karan. Jahrzehntelang ging das gut, dann war Schluss: „Die Gründerin von Chloé, Madame Aghion, hat mir einen wichtigen Satz fürs Leben mitgegeben: ,Gehe immer dann, wenn es am schönsten ist.‘ Deshalb habe ich 2002 die Modewelt verlassen und meine Designgalerie aufgemacht.“ Ohnehin hatte sich die Modeszene verändert, die zunehmende Wichtigtuerei der Modedesigner nervte, die auf Äußerlichkeiten konzentrierten Interessen der Kunden ebenso. Der Pragmatismus der Möbeldesigner kam ihr sympathischer vor, die Wohnwelt intimer, privater und ehrlicher als die der Bekleidungsindustrie. „Ein Stuhl muss bequem sein“, sagt Signora Orlandi, „ansonsten ist er entweder Kunst, oder du kannst ihn vergessen.“

Treffpunkt Design

Wer heute den Spazio Rossana Orlandi im ebenso zentralen wie unspektakulären Wohnviertel Sant’Ambrogio besucht, kommt in eine farbenfrohe, romantische, innovative und sehr persönliche Welt. Sie entstand in einer ehemaligen Krawattenfabrik und gilt als Kultstätte für Designliebhaber, als kreativer Hub, aber auch als Treffpunkt der wirklich schicken Schickeria. Zu sehen und zu kaufen gibt es das, was der Inhaberin gefällt, was sie interessiert und/oder amüsiert – Möbel, Accessoires, Kunst, Kochbücher, Porzellan, Nippes. „Mein Konzept ist es, kein Konzept zu haben“, sagt sie und: „Ich verkaufe nichts, was ich nicht liebe. Man kann Design als Business sehen, aber so bin ich nicht.“ Eher versteht sie sich als Talentförderin junger, noch unbekannter Designer. Maarten Baas, Nacho Carbonell, Tom Dixon, Sebastian Wrong, Jaime Hayon und Piet Hein Eek sind nur einige der vielen, die als no name zu ihr kamen und heute als Stars der Branche verehrt werden. Die meisten davon sind ihr und ihrer Galerie bis heute verbunden: „Piet nennt mich Mama“, erzählt Rossana Orlandi freimütig, „das ist o. k. Schlimm wäre Großmama.“
Tatsächlich wirkt ihr dreistöckiges, knapp 1800 Quadratmeter großes, labyrinthisches Reich alles andere als altmodisch. Ihr Ausstellungsstil ist erfrischend unmuseal, die Räume betont unrenoviert, der Innenhof lässig verwildert. „Organisiertes Chaos“, kommentierte Trendforscherin Li Edelkoort bei einem ihrer vielen Besuche. Der Spazio ist Rossana Orlandis ganz privates Reich: ein Wohnzimmer voller Blumen – mit einer klaren Vorliebe für leuchtend rote Päonien –, Freunden und Familienmitgliedern, die zum Plaudern oder Kaffeetrinken vorbeikommen. Neuerdings kommen sie bevorzugt zum Essen. Nicht nur Freunde und Familie, sondern auch einheimische Gourmets und gut informierte Reisende aus aller Welt.

BistRO Aimo e Nadia

Objekt der Begierde sind die wachsweich gekochten Eier auf Kartoffelpüree und Spargel, das Safran-Risotto mit Taleggio-Käse, der mit Fenchel und Orangen servierte Seehecht – um nur ein paar der Köstlichkeiten zu nennen, die im neuen „bistRO Aimo e Nadia“ auf der Menükarte stehen.
Der Name lässt Feinschmecker aufhorchen: „Il Luogo di Aimo e Nadia“ ist ein 1962 eröffnetes und seit fast 30 Jahren mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnetes Restaurant, das tief im Mailänder Westen steht – viel zu weit weg von allem, wie Rossana Orlandi befand. Kurz entschlossen erklärte sie den amtierenden Chefköchen Alessandro Negrini und Fabio Pisani, dass ihr Lokal eine Dependance in der Stadt brauche und dass sie den genau richtigen Ort dafür kenne: ihren Laden bzw. einen Anbau genau daneben. So wurde das Wohnzimmer um ein Speisezimmer ergänzt, genau genommen sind es drei kleine Räume auf zwei Etagen. Im „bistRO“ vereinen sich beste italienische Küche und bestes italienisches Design. Ausnahmsweise setzte Rossana Orlandi nicht auf Shabby Chic, sondern auf luxuriöse Opulenz.

Wilder, bunter Design-Mix

Anstelle der jungen Talente kamen etablierte Könner zum Einsatz: Die Kulisse für die kulinarischen Kreationen der Sterneköche wurde vom Mailänder Modelabel Etro geliefert, dessen Kreativdirektor Jacopo Etro die Wände mit grasgrünen Floraltapeten, gold-roten Paisley-Mustern oder ornamentalen Blüten- und Tierwelten bespannen ließ. „Es wirkt, als betrete man ein wunderschönes Kleid“, findet Rossana Orlandi, „aber im Kleid gibt es großartiges Essen.“ Fast das gesamte Mobiliar, von Etros hellrosa Blumensofas im Cocktailbereich über Jaime Hayons Barhocker und Nika Zupancs Dining Chairs bis zu den Acrylglas-Lüstern von Jacopo Foggini, den Keramiken von Floris Wubben und den raffiniert verzierten Spiegeln von Emanuela Crotti, kann gleich nebenan im Laden gekauft werden.
Die eklektische Einrichtung widerspiegelt den typischen Orlandi-Look: eine wilde Mischung aus Stilperioden, Materialien und Designern, die nur echten Könnern so perfekt gelingt. Das Beste daran: Das „BISTRO“ ist zu jeder Tageszeit offen. Schon um halb acht sitzen Gäste beim Frühstück, man kann Gin Tonic zum Mittagessen trinken, den Nachmittag bei Tee mit Kuchen verbringen oder am Abend nur einen Salat oder eine Suppe bestellen, ohne dass sich jemand daran stört. „Die Idee ist, dass jemand, der zum Essen kommt, auch die Galerie in Beschlag nimmt“, erklärt Rossana Orlandi, die oft zur Aperitivo-Zeit an der kleinen Bar neben der Treppe steht und eine Zigarette raucht, „ich überlasse den Gästen mein Reich, und sie übernehmen es ganz selbstverständlich, als wäre es ihr Zuhause.“

Spazio Rossana Orlandi, Via Matteo Bandello 14/16, Mailand, T. +39.02.467 44 71, rossanaorlandi.com

BistrRO Aimo e Nadia, Via Matteo Bandello 14, Mailand, T. +39.02.48 02 62 05, bistroaimoenadia.com

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