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Apulinaris

Luxus-Farmen, unverbaute Landschaften, schicke Beach Clubs, gute Küche – Italiens Stiefelabsatz sprudelt als Quell für verwöhnte Urlauber. Wer nicht gerade im Hochsommer kommt, erlebt zudem einen höchst entspannten mediterranen Lebensstil

Text: Patricia Engelhorn

San Vito Hafenbucht in Apulien
Das winzige Fischerdorf San Vito ist bei Sonnenuntergang am schönsten seine schmucke Sandbucht lagert zu Füßen einer Abtei aus dem 10. Jahrhundert

„Wie viele Seeigel soll ich bringen? 20? 50? 100?“ Signora Giusi hat den Tisch gedeckt: ein helles Baumwolltuch und Stoffservietten, schlichte Teller und leichte, langstielige Weingläser. Die grob geschnittenen Weißbrotscheiben sind in einer Papiertüte verpackt, für den sanft perlenden Rosé gibt es einen Weinkühler. Vom Meer, das nur ein paar Meter weiter auf die Klippen schwappt, kommt eine leichte Brise, trotzdem haben die Gäste ihre Jacken ausgezogen, denn in der Mittagssonne ist es bereits jetzt wohlig warm. An den Tischen, die neben einer weiß lackierten Holzhütte im Freien stehen, sitzen ausschließlich Menschen aus der Umgebung. Sie wissen, dass es im „Principe del Mare“ die besten Spaghetti alle Vongole und einen zarten Oktopussalat gibt. Doch jetzt im Frühjahr haben Seeigel Hochsaison, und in den Mülleimern türmen sich die stacheligen Schalen. Echte Liebhaber schaffen bis zu 150 Stück, erzählt Giuseppina Cardone, Inhaberin des kleinen Familienbetriebs mit dem fürstlichen Namen, der irgendwo an der Küste bei Savelletri steht. „Allora, wie viele möchten Sie?“
Süditalien, die Adria, eine Fischbude am Meer – Apulien ist nicht nur im Sommer schön. Bevor die große Hitze und die vielen Urlauber kommen, hat man hier noch Zeit für ein Schwätzchen: Signora Giusi erzählt, dass sie das Principe del Mare“ von ihrem Vater übernommen und klammheimlich peu à peu aufgehübscht hat. Dass der Vater heute am liebsten auf einem verwitterten Plastikstuhl beim Parkplatz sitzt und den langsam anrollenden Autos „ricci, ricci“ (Seeigel) entgegenruft und „venite a mangiare“ (kommt essen) – als ob nicht ohnehin jeder Tisch besetzt wäre. Dass im vergangenen Sommer Madonna unangemeldet mit ein paar Freunden in der Tür stand und dass ihr andere Gäste erst mal erklären mussten, wer das ist. Madonna, Jude Law, Mick Jagger, Meryl Streep, Emmanuel Macron, die Beckhams … die Promi-Liste ist ellenlang. Kein Wunder: Die Region im Absatz des Stiefels punktet mit 800 teils spektakulären Küstenkilometern, tausendjährigen Olivenbäumen, fruchtbaren Feldern und weißen Dörfern, die wie Adlerhorste auf Hügelkuppen thronen. Wer die Landstraße nach Cisternino fährt, kommt an graugrün schimmernden Olivenhainen und putzigen Trulli – den landestypischen Rundhäuschen mit Kegelsteindach – vorbei. Die engen Altstadtgassen im ummauerten Dorfkern winden sich wie ein Schneckenhaus, das labyrinthische Zentrum ist autofrei, und auf der wunderschönen Piazza Vittorio Emanuele stehen die Tische der „Bar FOD“, wo man zum Cappuccino einen mit Quarkcreme gefüllten Cannolo bekommt.

Die schönsten Masserien

An der Küste locken barocke Städtchen wie Monopoli mit großartiger Basilika und einem Knäuel schmaler Gassen, die oft völlig überraschend an idyllischen Plätzen enden – etwa dem Largo San Giovanni mit der lässigen Wine Bar „Baldovino“, der Piazza Palmieri mit gleichnamigem Terrassenrestaurant oder der Piazza Garibaldi, dem Salon des Städtchens. Die hoch über dem Meer gelegene Uferpromenade führt dagegen zum alten Hafen mit seiner gut erhaltenen Festung aus dem 16. Jahrhundert oder, in die andere Richtung, zum Strand oder zu einer Folge zauberhafter Buchten, an denen sich zuletzt immer mehr schicke Beach Clubs etabliert haben. Zu den besonders angesagten zählen der von steilen Klippen flankierte Lido Marzà, der hippe Cala Cerasa und der sichelförmige Strand von Porto Ghiacciolo zu Füßen einer mächtigen Küstenfestung. „Noch vor zehn Jahren waren solche Etablissements an unserer Küste eine Seltenheit“, sagt Vittorio Muolo, der mit seinem eigenen, 2005 eröffneten „Coccaro Beach Club“ Pionierarbeit leistete. Und nicht nur damit: Ihm gehört auch die Masseria Torre Coccaro, die vor gut 20 Jahren als eine der ersten Luxus-Masserien zahlende Gäste empfing und bis heute zu den romantischsten und elegantesten Herbergen weit und breit gehört.

Poolvilla Jasmine in Calderisi
Der kleine Privatpool im Hof der Villa Jasmine, der wohl schönsten Unterkunft der Masseria Torre Coccaro, ist nur für die Vögel einsehbar

Vittorio Muolo und dem inzwischen verstorbenen Unternehmer Sergio Melpignano, Gründer der vornehmen Masseria San Domenico und des exklusiven Hoteldorfs Borgo Egnazia, ist es zu verdanken, dass zwischen dem Küstennest Savelletri und dem angenehm untouristischen Städtchen Fasano eine Art Edel-Enklave entstanden ist, die Apulien auf den Radar anspruchsvoller Individualreisender katapultiert hat. „Als ich so um 2002 ein kleines Bed & Breakfast in Cisternino eröffnete, bekam ich die Lizenznummer 136“, erzählt Caroline Groszer, die sich im Urlaub in die Region verliebt hatte, „vor mir gab es in der ganzen Region nur 135 Hotels, B&Bs oder Ferienresidenzen.“ Damals war Apulien noch ein echter Geheimtipp, Land und Häuser kosteten nicht viel. Auch als die unternehmungslustige Schweizerin ein paar Jahre später nach einem größeren Objekt suchte, genau genommen nach einer Masseria, also einem jener alten, meist kubisch gebauten und fast arabisch wirkenden Bauernhöfe, gab es noch Auswahl: „Ich habe mir bestimmt 50 Stück angesehen. Ich wollte unbedingt in die Nähe der beiden Big Player, denn das sind Einheimische, die wissen, weshalb sie genau hier Unsummen investieren.“ Schließlich fand sie eine seit 30 Jahren leer stehende Masseria, die vor lauter Pflanzen kaum noch zu sehen war, und kaufte sie, für 400 000 Euro, mithilfe eines EU-Programms für Jungunternehmer. Kurz vor Ostern 2008 waren die neun Gäste-Studios und Suiten fertig. „Von Anfang an wollte ich die alten Mauern mit jungem Design füllen und mich dadurch von anderen, mal rustikal, mal antik gestalteten Masserie der Mitbewerber unterscheiden“, erzählt sie. So hängt hier eine Flos-Pendelleuchte von der gewölbten Decke, der runde Esstisch darunter ist von Saarinen, der Schaukelstuhl von Charles und Ray Eames, die Zitronenpresse von Philippe Starck, und die abstrakten Kunstwerke an den weiß gekalkten Wänden stammen von Raffaele Quida aus Lecce. Jede Wohneinheit hat eine Privatterrasse, die große „Romantica“- Suite sogar eine mit Meerblick. Um die Masseria herum stehen Feigen-, Zitronenund Mandelbäume, Kapern- und Rosmarinbüsche sowie über 1500 Olivenbäume, aus denen das unglaublich aromatische Alchimia-Olivenöl entsteht. Der Masseria-Markt ist in den letzten Jahren explodiert, die alten Landgüter sind gefragt wie nie zuvor. „Ein größeres Anwesen kostet jetzt leicht ein paar Millionen – wenn man überhaupt eines findet“, sagt Vittorio Muolo.

Er selbst hat sein zweites Hotel, die intime, edel gestylte und gleich neben Torre Coccaro gelegene Masseria Torre Maizza vor wenigen Jahren an Sir Rocco Forte verpachtet, der es ausbaute, umgestaltete und zum wohl teuersten Urlaubsresort der Region machte. Mit den Rocco Forte Hotels betrat die erste international aktive Luxus-Hotelgruppe apulischen Boden – andere folgten: Die majestätische Masseria Le Taverne unweit von Ostuni wird gerade in ein Belmond-Hotel verwandelt, unweit davon an der Küste baut Four Seasons ein Hoteldorf. J.K.-Place-Group-Gründer Ori Kafri schaut sich in der Gegend um, Hyatt sucht angeblich nach einem Standort, und man munkelt, dass sich Mandarin Oriental für die perfekt restaurierte Masseria La ma coppa der Verleger-Familie Mondadori interessiert. Dass Ostuni und Umgebung in den Fokus rücken, ist kein Wunder: Dort gibt es noch kaum Luxushotels, aber viele alte, halb verlassene Dörfer, leer stehende Landgüter und, ja, ein paar prächtige Masserie.

Außerdem ist Ostuni wunderschön. Schon von Weitem strahlt das strahlend weiße 30 000-Einwohner-Städtchen Besuchern entgegen. Keine hässlichen Bauten verschandeln die Peripherie und schon gar nicht das Zentrum mit der weitläufigen Piazza della Libertà, dem imposanten Dom, den kopfsteingepflasterten Altstadtgassen und der mächtigen Stadtmauer, die einen Cinemascopeblick über die ländlichen Weiten der Valle-d’Itria-Ebene und das Türkis der Adria bietet. Einheimische trinken ihren ersten Espresso auf der Terrasse der schicken „Osteria Madre“ gleich neben der 30 Meter hohen Sant’Oronzo- Säule oder essen mittags ein köstlich belegtes Hartweizenmehl-Brötchen im coolen „Tabar“ um die Ecke. Auch die Pariserin Laurence Pineau Valencienne sitzt oft auf einem der Sofas vor der Tür, ihr Favorit ist das Taboulé mit Oktopus, Petersilie und Tomaten-Confit. Von dort hat sie den Eingang ihres vor knapp zwei Jahren eröffneten Concept Store Galleria Valencienne im Blick, der mit seinem edel-eklektischen Angebot echten Großstadt-Schick in den kleinen Ort gebracht hat. Verkauft werden die fantasievollen Schmuckstücke von Aurelie Biedermann aus Paris, die verspielten, exklusiv für die Galleria angefertigten Keramiken des einheimischen Star-Töpfers Nicola Fasano oder die zauberhaften Leinenkleider von Nina Leuca aus Lecce. Als Bestseller gelten jedoch die Entwürfe der Store-Inhaberin: T-Shirts mit Vintage- Ostuni-Motiven oder Strandkaftane, die aus Reststoffen von Pariser Couturiers im Nachbarort Martina Franca gefertigt werden. „In Ostuni gab es noch keinen zeitgeistorientierten Laden“, sagt Laurence Pineau Valencienne, die wie so viele erstmals im Urlaub nach Apulien kam. Das Haus, das sie dann im Ortszentrum kaufte und von April bis Oktober bewohnt, hat es bis auf die Seiten ausgesuchter Interior-Magazine geschafft. „Dieser Ort hat eine besondere Magie“, glaubt sie, und: „Apulien bietet noch viele Möglichkeiten.“
So oder so ähnlich sehen es auch Jutta und Max von Braunmühl, Inhaber der jüngsten und coolsten Luxus-Masseria. Calderisi steht in Rufweite von Torre Coccaro, Torre Maizza und San Domenico, also sozusagen mitten im Goldenen Dreieck der apulischen Hotellerie. Die beiden Münchner sind langjährige Fans der Region, sie haben in Monopoli geheiratet und gut zehn Jahre lang nach einem Ferienhaus für ihre Familie gesucht. Gefunden haben sie ein Landgut aus dem 17. Jahrhundert in einem acht Hektar großen Park – zu groß für das Paar und ihre Kinder. Deshalb dürfen jetzt auch fremde Gäste die 24 mit naturfarbenen Textilien, handgearbeiteten Möbeln und lokal angefertigter Keramik ausgestatteten Zimmer und Suiten bewohnen. Jutta von Braunmühl „hat alles eingerichtet, wie wenn es mein Privathaus wäre“. Wer den Kiesweg zum Anwesen entlangfährt, sieht zuerst den imposanten Masseria-Turm, der die ursprünglichen Bewohner vor Piraten, Sarazenen und anderen Banditen schützen sollte. Daneben steht eine Kapelle, die bei den großen historischen Höfen zum guten Ton gehörte, davor die Tische des Restaurants „La Corte“ und bequeme Sofas für einen entspannten Aperitivo unter Sternen. „Apulien verändert sich, keine Frage“, sagt Max von Braunmühl, „auch durch Hotels wie das unsere und deren internationale Klientel. Doch verglichen mit anderen Regionen Italiens, ginge es hier noch sehr authentisch und italienisch zu. Zwar kommen immer mehr Urlauber, aber Apulien ist groß und die Zimmerzahl begrenzt. Das rettet uns.“ Bis jetzt, jedenfalls.

Adressbuch Apulien

Masserie Torre Coccaro: 44 wunderschöne Zimmer und Suiten mit Baldachinbetten, zauberhaften ländlichen Textilien und Privatterrassen in einem weitläufigen Farmhaus aus dem 16. Jahrhundert. Zu den Highlights zählen der exzellente Service, zwei schicke Beach Clubs, das Aveda-Spa und das fantastische Restaurant. DZ ab 300 euro, masseriatorrecoccaro.com
Calderisi: Neues Luxushotel mit lässigem Ibiza-Flair, XXL-Pool und Restaurant mit kreativer Regionalküche. In den früheren Ställen sind fünf lichtdurchflutete Suiten untergebracht, ein anderes Gebäude beherbergt eine frei stehende Gästevilla mit Pool, alle Gästezimmer punkten mit viel Platz und großartigen Bädern. DZ ab 320 Euro, masseriacalderisi.com
Alchimia: Die Masseria ist das Flaggschiff der Alchimia Collection, die historische Gebäude und junges Design kombiniert. Zur Gruppe gehören die Palazzina, ein kleiner Stadtpalast mit Dachterrasse in Fasano, das Penthouse Torretta in Ostuni und die Trulleria bei Fasano mit zwei Trulli und zwei Würfel-Häuschen. Studio in der Masseria ab 90 Euro, alchimiacollection.com
Torre Maizza: Das Landgut aus dem 16. Jahrhundert steht in einem weitläufigen Olivenhain, vor den 40 Zimmern und Suiten blühen purpurfarbene Bougainvilleen. Die Anlage zählt zu den elegantesten der Region, das Restaurant zu den besten. Gäste schätzen auch den hauseigenen Golfplatz, das schöne Spa und den schicken Beach Club. DZ ab 530 Euro, roccofortehotels.com
Prosperi: Im Süden des Absatzes, unweit vom Meer und dem Städtchen Otranto, wurde ein altes Bauernhaus in ein schickes Sechs-Zimmer-Gästehaus verwandelt. Pferde, Gänse, Ziegen, Katzen und andere Tiere sind noch da, es gibt aber auch einen herrlichen Pool und ein vom Inhaber höchstpersönlich bewirtschaftetes Restaurant. DZ ab 200 Euro, masseriaprosperi.it
Spetterrata: Ein Agriturismo mit hundertjährigen Olivenbäumen gleich unterhalb des Mini-Dorfs Cisternino. Aber auch ein romantisches Urlaubsdomizil mit einem Dutzend Zimmern und Apartments, großzügig angelegten Gärten, Pool und nettem Restaurant. Die Masseria liegt leicht erhöht, der Blick ist spektakulär. DZ ab 100 Euro, agriturismomasseriaspetterrata.com
Trattorie la Locanda di Felisiano: Der stimmungsvolle Landgasthof steht in einem Olivenhain und wirkt mit seinen hellblauen Baststühlen fast wie eine griechische Taverne. Das Menü ist aber ganz italienisch: Oktopus mit Gemüse, Pasta mit Fisch-Ragù, Fritto misto und ein wunderbar zartes gegrilltes Steak. Strada Provinciale 163, Contrada losciale 111, T. +39.329.633 15 51
La Taverna del Duca: Seit einem Vierteljahrhundert steht Antonella Scatigna am Herd ihres fröhlichen Lokals im bildhübschen Locorotondo. Serviert wird eine auswahl an regionaltypischen Gerichten wie Bohnenpüree mit Zichorie oder in Rotwein geschmorte Kalbsbäckchen, bei schönem Wetter auch an den Tischen vor der Tür. tavernadelducascatigna.it
La Veranda di Giselda: Die Idylle am kleinen Hafen von San Vito ist schwer zu schlagen. Giselda Carrieri hat die Weinschenke ihres Großvaters in ein schlicht-schönes Terrassenlokal verwandelt, aus der Adressbuch Apulien Küche kommen Fischsuppe, frittierte Meeresfrüchte oder Cavatelli-Pasta mit Miesmuscheln. San vito/Polignano a mare, T. +39.080.424 08 63
Carlo Quinto: Lässig gestaltetes Trendlokal mit Terrasse an der breiten Uferpromenade von Monopoli. Einheimische bestellen gerne die wechselnden Tagesgerichte oder die immer hervorragenden Bestseller Crudo di Mare oder Oktopus alla Lucana (in Tomatensauce). Dazu gibt es beste Weine oder Cocktails aus der dazugehörenden Cocktailbar. carloquinto.it
Mòmò: im winzigen Küstendorf Savelletri gibt es eine überraschende Auswahl an guten Lokalen. Bei „mòmò” steht Inhaber Antonio Legrottaglie selber am Herd und bereitet zu, was er täglich frisch vom gegenüber gelegenen Fischhändler bezieht. Das Lokal ist so klein, dass man ihm dabei zusehen kann. Es schmeckt fantastisch! Via Fiume 24, T. +39.320.616 26 61
Osteria Piazzetta Cattedrale: Das stimmungsvolle Gourmetlokal befindet sich direkt gegenüber der Kathedrale von Ostuni. An die weiß gedeckten Tische kommen vor allem feinste Fischgerichte, Insider und Stammgäste nehmen gerne das Degustationsmenü und überlassen dem netten Patron Roberto und seiner Frau alles Weitere. piazzettacattedrale.it