Text: Reinhard Modritz
Explora I: Unterwegs auf den Weltmeeren. Versuchen Sie’s doch einmal mit einem ,Pornstar‘“, schlägt Restlie, der Bartender der kathedralenhohen „Lobby Bar“, vor und wirbelt seinen Shaker gekonnt durch die Luft. Der mit Wodka, Vanille, Passionsfrucht und Champagner gemixte Cocktail entwickelt sich während der Cruise zum Renner und ist vor allem bei den Damen beliebt. Und damit auch Restlie. Dabei ist er nicht der Einzige. Im Laufe der Woche, während der die Explora I auf der Fahrt von Barcelona nach Athen Häfen auf Sizilien, Malta, Kreta und Naxos ansteuert, werden wir lernen, dass jede der zwölf Bars an Bord einen Signature-Cocktail hat.
Die Explora I, erstes von sechs Schiffen der MSC-Lifestyle-Marke Explora Journeys (die das Schwesterschiff Explora II dieser Tage in Dienst stellt), möchte im lukrativen Markt der Luxus-Kreuzfahrten eine neue Benchmark setzen – kein leichtes Unterfangen angesichts der starken Konkurrenz. Aber der erste Eindruck verdient Respekt. Das gediegene Design erinnert nicht selten an ein außergewöhnliches Boutique-Hotel, hin und wieder auch an eine private Yacht.
Dasselbe gilt für die Kabinen, pardon, Suiten, Penthouses und Residenzen, ausgestattet mit großen Namen wie Molteni, Minotti, Flexform oder Knoll. Manches gute Stück hätte man selbst gern daheim. Und dank superschnellem WiFi mutiert die Explora I im Bedarfsfall auch zum luxuriösen Homeoffice.
Lange litt Trapani unter dem Ruf als Hochburg der „Ehrenwerten Gesellschaft“. Die verwinkelten Gassen des beschaulichen Städtchens an der Westküste Siziliens zwischen Palermo und Marsala, der leicht bröckelnde Charme der barocken Häuser böten einem Film über die Mafia die perfekte Kulisse. Seit allerdings der America’s Cup hier 2005 Station machte, kennt die Welt zumindest den Namen. Zu einem gewissen Wohlstand gelangte die Stadt durch ihre Salinen. Vielleicht kommt das Salz in der Suppe heute Abend ja aus Trapani?
Die Explora I ist das größte Exemplar ihrer Klasse. Bei Belegung aller 461 Suiten wären 922 Passagiere an Bord. Auf unserer Cruise sind es knapp 700, etwa so viele wie Crewmitglieder, ein entspanntes Verhältnis. Man verteilt sich erstaunlich gut über die 13 Decks, sechs Signature-Restaurants buhlen um die Gunst der Gäste, überall ist reichlich Platz. Selbst auf der Terrasse des angesagten „Sakura“-Restaurants (das „Seared Salmon Sashimi“ ist unvergesslich) sind zum Lunch meist Tische frei.
Nicht mal 6000 Einwohner zählt Maltas Hauptstadt Valletta, die kleinste Europas. Mindestens so viele Menschen ziehen durch die hübschen Straßen mit ihren charakteristischen Balkonen, bevölkern die Cafés und Restaurants, bestaunen die barocke Schönheit der St. John’s Co-Cathedral oder genießen den Panoramablick von den Upper Barrakka Gardens.
Wir haben einen ziemlich schicken Katamaran für einen Törn zu den Nachbarinseln Gozo und Comino gebucht. Auf Letzterer, so erzählt der Skipper, lebt nur mehr ein Einsiedler-Paar. Dafür ankern in den bezaubernden Buchten zahllose Yachten – die Inseln sind das Lieblingsrevier der Malteser.
Am Abend loben wir Kapitän Pietro Sinisi für unseren Logenplatz im Hafen. Auf Deck 11 genießen wir beim Late-Night-Dinner ein seltenes Schauspiel: Nur alle zwei Jahre veranstaltet die Stadt ein fulminantes Feuerwerk zu Ehren der Heiligen Maria. Für eine gefühlte Ewigkeit leuchtet der Nachthimmel in allen Farben, von überall kommt Musik.
Würde der Guide Michelin Sterne auf Kreuzfahrtschiffen verteilen, Franck Garangers „Anthology“ hätte einen bis zwei sicher. Als Head of Culinary zeichnet er zwar für das gesamte Gastro-Konzept von Explora Journeys verantwortlich, aber in der Küche des Fine-Dining-Tempels steckt seine ganze Liebe: „Das ,Anthology‘ ist eine kulinarische Hommage an die Aromen und Düfte der italienischen Küche, für die ich eine tiefe Leidenschaft empfinde“, sagt der Mann, der bei Paul Bocuse, Alain Passard und Thierry Marx in die Lehre ging. Seine Empfehlung? Wolfsbarsch mit Arabica-Kaffee und Tonkabohne sowie Jakobsmuschel-Cannelloni mit schwarzem Trüffel. Sein Credo: the product is the hero. Überhaupt wird für die Gäste nur das Allerbeste eingekauft. Das Mehl für das Baguette etwa kommt aus der Pariser Bäckerei, die auch den Élysée-Palast beliefert.
Taormina, du Perle des Ionischen Meeres, Sehnsuchtsziel von Jetsettern und Fashion Victims, Siziliens It-Place Nummer eins, nicht minder chic wie Capri oder Portofino. Der Corso Umberto I ist ein Paradies für Hardcore-Shopper, kaum ein angesagtes Label, das hier nicht vertreten ist. Die Lage des Städtchens an den steilen Hängen des Monte Tauro ist atemberaubend, gekrönt vom gut erhaltenen griechischen Amphitheater. Der Fußmarsch ist, zugegeben, nicht ohne, aber wir werden mit einem allerschönsten Panoramablick belohnt, der den Ätna, den Golf von Giardini-Naxos und das kleine Eiland Isola Bella streift. Und auf die Explora tief unter uns.
Kaum ein Cruiseliner der Luxusklasse, der heute ohne eindrucksvolle Kunstwerke auf allen Decks über die sieben Meere kreuzt. Aber kaum einer auf dem Niveau der Explora mit Hauptwerken von Roy Lichtenstein und Andy Warhol. Neben dessen „Superman“ und „Moonwalk“ reiht die schwimmende Galleria d’Arte allein elf Motive aus der berühmten Campbell-Serie auf. Sie sind Teil der Sammlung der Aponte-Familie, die, als Leihgabe, versteht sich, ihr Flaggschiff Explora I mal eben mit zwei Dutzend unbezahlbarer Preziosen schmückt.
Von Weitem sieht Chora, der Hauptort von Naxos, aus, als ob ein Kind Bauklötze aufeinandergestapelt hätte. Weiß getünchte Würfel, dazwischen ein Labyrinth enger, steiler Gassen, die allesamt an der von den Venezianern erbauten, noch gut erhaltenen Burg enden. Die Insel ist sicher nicht so hip wie Mykonos, nicht so spektakulär wie Santorin. Statt auf sattbekannte Modelabels stößt man an jeder Ecke auf kleine Läden mit griechischen Designern, schönem Handwerk und feinem Silberschmuck. Vor allem aber hat Naxos die schönsten Strände von allen. Zum Abschluss der Cruise dürfen wir noch zu einem Besuch der Brücke. Uns fällt auf, wie lautlos die Explora durch die Wellen gleitet. Das, so erklärt uns Kapitän Sinisi, sei dem besonders schall-gedämmten Rumpf und Maschinenraum geschuldet. „Das spezielle Design kommt aber nicht nur unseren Passagieren, sondern auch der Meeresfauna und der Fischwelt zugute.“ Darauf einen „Pornstar“.
Text: Katharina Hesedenz
In tiefer Wildnis, im äußersten Süden eines Landes, das sich an den Rand seines Kontinents klammert, steht ein weißes Holzhaus an einem surreal blauen Bergfluss. An einer Seite schäumen Stromschnellen in einen See, auf der anderen ragt ein Bergmassiv in den Himmel, dessen Gipfel und Grate mit einer glitzernden Schneedecke überzogen sind. In seinen Schrunden hängen Gletscher. Ein erster Eindruck vom patagonischen Paine-Massiv, das vor Millionen von Jahren aus Feuer und Erde entstand und im Laufe der Zeit von Regen, Wind und Eis perfektioniert wurde.
Vielleicht liegt es an der unfassbaren Schönheit der Landschaft, vielleicht an der Herausforderung, sich auf der südlichsten bewohnbaren Landmasse der Erde zu befinden und die damit verbundenen Schwierigkeiten zu meistern. Klar ist, dass sich seit Jahrhunderten wortgewaltige Entdecker hierher gezogen fühlen: Darwin, St-Exupery, Humboldt, Shackleton und 1879 Lady Florence Dixie, Tochter des siebten Marquess of Queensberry und Organisatorin des ersten Frauenfußballspiels der Welt, die meinte: „Zweifellos gibt es wilde Länder, die in vielerlei Hinsicht von der Natur begünstigter sind. Doch nirgendwo sonst ist man so ganz und gar allein. Nirgendwo sonst gibt es ein Gebiet von 100.000 Quadratmeilen, über das man galoppieren kann, und wo man sich . . . vor der Verfolgung durch Fieber, Freunde, wilde Stämme, widerwärtige Tiere, Telegramme, Briefe und alle anderen Belästigungen sicher sein kann, der man anderswo ausgesetzt ist.”
Meinen Einstieg in das Genre lieferte Bruce Chatwins 1977 erschienenes Buch “In Patagonien”. Der bisexuelle britische Schriftsteller interessiert sich für Phantasten und Abenteurer, wie er selbst einer war. Er erzählt vom Pariser Exilmonarchen des Königreichs Araukanien und Patagonien oder von Butch Cassidy und Sundance Kid, die im chilenischen Süden wieder mit Bankraub beginnen, weil das Leben ohne unerträglich langweilig scheint. Auch J.R.R. Tolkien hätte sich hier verstanden gefühlt.
Meine Ankunft in der Explora-Lodge am Fuß der Torres del Paine gleicht einem Feiertagswochenende im Elbenland. Eine strahlende Sonne lässt die schneebedeckten Gipfel der “Berge des Blauen Himmels” hell leuchten. Über dem Fluss und seinem kleinen Wasserfall blitzen Regenbögen auf, die man vom Speisesaal aus sehen kann, wo aufmerksame Kellner die Tische Legolas-flink beladen. Es gibt Guanaco-Carpaccio, Lachstatar, Kürbiscremesuppe, Mangoldravioli, Wildfisch und Fondant au Chocolat auf Erdbeermousse, dazu exquisite chilenische Weine. Die einfachen Zimmer der 1993 gebauten, chilenischen Lodge sind gemütlich in die Jahre gekommen, doch das weiche Bett, in das ich falle, während sich ein Sichelmond in den Nachthimmel schiebt, zählt zu den Besten.
Pedro Ibañez, der Gründer der erfolgreichen Hotelgruppe Explora, beschloss schon früh, sich auf “den Luxus der Essentials” zu konzentrieren. Eine wegweisende Entscheidung, die Lodge passt zum Land und zur Umgebung. Statt einer Minibar gibt es Bartender in der Lobby, statt Fernsehgeräten Panoramafenster mit Traumblick, statt Einzelabrechnungen ein ernst gemeintes All-inclusive-Angebot. Man schenkt sich zwanglos selbst Wein nach oder meldet sich für ganztägige Ausritte und Asados an, ohne etwas zu unterschreiben oder sich um Aufpreise kümmern zu müssen. Es ist ein Urlaub, der Geld außen vorlässt, obwohl offensichtlich eine Menge davon im Spiel ist, vor allem bei den gut gelaunten Brasilianern, die mit dem eigenen Flugzeug anreisen und im Hot Tub Champagner trinken. Die zweite gute Idee von Ibañez bestand darin, glatte Tourismusstudenten durch Ausnahme-Guides zu ersetzen. Die täglichen Aktivitäten wählt man gemeinsam mit ihnen nach eigenen Wünschen aus. Im Lauf der Zeit erkunde ich den Park mit einem Barmann-Hiker, einem Betriebswirtschafts-Wildlifefotografen, einer Grafikdesign-Ornithologin und einer Försterin-Reiterin. Ihre Begeisterung ist echt, die Unterhaltungen sind immer spannend.
Am ersten Tag wandere ich mit anderen Gästen vom Salto-Grande-Wasserfall zu einem absurd blauen See namens Nordenskjöld. Es wirkt, als ob ein Special-Effect-Team ihn unter der Oberfläche mit Scheinwerfern ausgestattet hätte. Grund ist die Gletschermilch, die Blautöne von karibischem Türkis bis zu nächtlichem Indigo in den Fjorden, Lagunen und Gletscherseen des Nationalparks verteilt. Durch die geschulten Augen unserer Führerin Claudia entdecken wir einen sandfarbenen Fuchs, einen feueräugigen Diucon und einen schwarzbrüstigen Adlerbussard, der weit oben im kobaltblauen Himmel kreist.
Die Bodenfläche gleicht einem Survival-Puzzle. Büschel von orangeblühenden Calafate-Hecken, pastellfarbenen Zwergorchideen, weißen Anemonen und lila Lupinen schmiegen sich dicht ans karge Erdreich. Nur wer klein bleibt und den Kopf nicht zu hoch hinaus reckt, überlebt den eisigen Wind. Wir essen winzige Chaura-Beeren, die nach Äpfel schmecken, verlieren uns im endlosen Blau und begreifen, dass auf der entgegengesetzten Erdhälfte tatsächlich alles auf dem Kopf steht. Die Natur ist groß, der Mensch ist klein.
Am Abend, in der heimeligen Atmosphäre der Bar, unterstützt durch einen chilenischen Cabernet und ein sanftes gelbes Getränk namens Pisco Sour, planen wir die Exkursion des nächsten Tages – keine einfache Aufgabe. Die moderne Forschung gewinnt täglich in rasender Geschwindigkeit erstaunliche Einblicke, bei denen es nie um Petitessen geht, sondern um Millionen von Jahren, oder gleich Milliarden, um Tausende von Kilometern und Hunderte von Arten. Der Torres del Paine Park umfasst 242.000 Hektar und ist der Traum eines jeden Geologen, ob Amateur oder Profi. Was man in kürzester Zeit auf wenigen Kilometern sehen kann, erzählt die Geschichte von etwa 30 Millionen Jahren. Wir erfahren zum Beispiel, dass die jüngsten Felsen, einschließlich der Türme, aus der Kindheit des Parks stammen und circa 5 Millionen Jahre alt sind. Sie entstanden, als sich der Mensch vom Affen trennte. Scharfkantig, zerklüftet und hager bilden sie eine unwiderstehliche Herausforderung für Hardcore-Climber. Die Komplikation liegt nicht in der Höhe, sondern im fast konkaven Aufstieg. Ältere Gebirgszüge wie etwa die Anden sind glatter, runder, von der Zeit gemildert – und scheinen dem entgegengesetzten emotionalen Muster der Menschheit zu folgen.
Am zweiten Tag galoppiere ich auf einer feurigen Fuchsstute über Berg und Tal, durchquere Flüsse und Sümpfe. Der vor mir her reitende Gaucho hat seinen Namen auf die Rückseite des breiten Ledergürtels gestickt, der seine Pumphose zusammenhält: Mischa. Zur Mittagszeit breitet er einen roten Poncho an einem sonnigen Seeufer aus und legt ein Picknick aus. Auch mein Pferd Decima luncht, sie knabbert bestimmte Astspitzen an und verschmäht andere. Das hilft mir, die Unterschiede zwischen Coihue (immergrüne Buche), Nirre (antarktische Buche) und Lenga (Südbuche) zu lernen und bestätigt die Theorie, dass selbst trockene Fakten interessant werden, wenn der persönliche Bezug stark ist. Auf unserem Rückweg kommen wir an einer toten Kuh vorbei, die aussieht, als ob sie schlafen würde, wenn ihr Bauch nicht so aufgebläht wäre. Wenige Kilometer später liegt ein Schimmel in der Wüste, in dessen aufgebrochenen Brustkorb die Rippen zu erkennennen sind. Er ist umringt von einem Schwarm schwerfälliger Kondore, die sich so voll gefressen haben, dass sie nicht mehr fliegen können.
Es herrscht durchgehend gutes Wetter, aufregendes Wetter, denn die Gletscher des südlichen patagonischen Eisschildes beeinflussen nicht nur das globale Klima, sondern tun es auch lautstark. Am dritten Tag wandern wir 16 Kilometer zum Glaciar Grey, der mit drei Zungen in den Lago Grey kalbt. An einem Kieselstrand holt uns ein Katamaran ab, der sich ihnen auf dem Seeweg nähert. Die Zungen sehen aus wie vorrückende Stromschnellen, eingefroren durch den Bann einer bösen Schneekönigin. Man fragt sich, ob C.S. Lewis zu den Suchenden und Träumern gehörte, die den Weg in den fernen Süden fanden, so sehr erinnert der Anblick an Narnia. Wir bleiben in sicherer Entfernung und tatsächlich bricht kurz darauf ein Stück der 30 Meter hohen Eiswand ab und gleitet in den See. Der Prozess ist ein voyeuristisches Vergnügen, das von komplizierten Geräuschen begleitet wird: Knacken, Grollen, Platschen und schließlich der Aufprall einer tsunamiartigen Welle auf Fels. Von sicheren Bootrefugium aus schauen wir gebannt zu. Unser gutaussehender Führer John sagt traurig: „Der Eisrand zieht sich jährlich um fast 200 Meter zurück.“ Mir ist klar, dass das Muster der Vergletscherung in den mittleren Breiten der Nord- und Südhalbkugel der Schlüssel zum Verständnis des globalen Klimawandels ist. Doch im Moment lässt mich die leuchtend blaue Farbe des Eises an einen Cocktail mit Blue Curacao auf Crushed Ice denken – und es stellt sich heraus, dass ich mit dem frivolen Gedankengang gar nicht so falsch liege. Der Bootsausflug endet mit der Art von vermittelter Erfahrung, die man genießt: mit kostenlosen Drinks on the rocks.
El Mundo es Ancho y Ajeno (Die Welt ist gross und fremd) heißt der Titel eines preisgekrönten Romans von Ciro Alegría aus dem Jahr 1941, einem indigenen Peruaner, den es in den 30er Jahren nach Chile ins Exil verschlug. In Patagonien denke ich jeden Tag an diesen Satz, und spüre gleichzeitig dem Drang der Einheimischen nach, das Unfassbare und Fremde zu domestizieren. Die tiefe, vielschichtige Landschaft wirkt wie eine Opernkulisse, deren Schauplätze sich beliebig verschieben lassen: schneebedeckte Berge, Gletscher, dahin rasende Wolken, Steppen, Wälder, glitzernde Seen und Flüsse…
Auf der Weiterreise zu einer anderen Explora-Lodge, die neueste von mittlerweile acht, geben losfliegende Flamingos, schwarzhälsige Schwäne und stämmige Huemules (Andenhirsche) die Akteure, die sie bespielen. Ein besonders bildgewaltiges Wegstück liefert die Carretera Austral, die schönste Fernstraße der Welt. Sie führt durch den Nordteil des chilenischen Patagoniens, einem dünn besiedelten Gebiet. Im Durchschnitt lebt hier weniger als ein Mensch pro Quadratkilometer. Während der Kaffeepause in einer winzigen Tankstelle treffen wir gefühlt die meisten davon. Sie drängen höflich hinein, um Fertiggerichte, pastellfarbene Schlüsselanhänger oder erstaunlich guten Espresso zu kaufen, bevor sie zu Orten weiterziehen, die Arroyo sin Nombre (Schlucht ohne Namen) oder Bosque Muerto (Toter Wald) heißen. Wir selbst folgen den komplizierten Windungen des Lago General Carrera, dessen kristallklares Wasser zu den reinsten der Welt gehört.
Anders als die schmelzenden Eisfelder wachsen die patagonischen Nationalparks stetig weiter. Es ist Kristine McDivitt und ihrem Ehemann Douglas Tompkins zu verdanken, dass die erstaunliche Ruta de los Parques entstehen konnte, die acht Naturschutzgebiete über eine Distanz von mehr als 2300 Kilometer verbindet. Tompkins, der Gründer der Marken North Face und Esprit, verliebte sich Ende der 80er Jahre in die südliche Wildnis. Nach monatelangen Wanderungen, Kajakfahrten und Erkundungen begann er ganze Landstriche aufzukaufen, zunächst in Chile, dann in Argentinien. Anfangs wurde er sowohl von den Regierungen beider Länder als auch von Großgrundbesitzern und Industriellen gnadenlos schikaniert. Gerüchte, dass er unterirdische Atombunker für reiche Freunde anlegen oder das gute Wasser Patagoniens an Chinesen verkaufen würde, machten die Runde. Zum Glück war er “kein netter Mann“, wie mir einer der Guides erzählt, sonst hätte er wahrscheinlich aufgegeben. Doch Doug Tompkins hielt durch. In einem seiner letzten Interviews wurde der Naturschützer nach seinem Vermächtnis gefragt. „Die Menschen werden auf diesem Land wandeln“, sagte er. „Glauben Sie nicht auch, dass das schöner ist als ein Grabmal?” 2015 ertrank er bei einem Kajakausflug im Lago General Carrera und fand auf dem Mini-Friedhof der Lodge im Parque Nacional Patagonia zwischen den Gräbern seiner Lieblingstiere die letzte Ruhe.
Bei unserer Ankunft schwebte ein Adler über dem Anwesen, das zusammen mit einer Million Hektar Land in einem komplizierten und langwierigen Verfahren an den Staat Chile zurückgeschenkt wurde. Es wird von Explora gemanagt. Die Regierung kommt bis heute der Bedingung nach, das gespendete Areal auch weiterhin zu vergrößern. Im direkten Vergleich mit Torres del Paine scheinen die Landschaft und das Klima (fast zu) sanft, die Zimmer (wohltuend) luxuriös – und die einheimischen Pumas (extrem) nahbar. Schon am ersten Abend schlendert ein junges Männchen am Dining-Room vorbei, wirft einen bernsteinfarbenen Kontrollblick durch die Panoramascheibe und verschwindet zwischen den Bäumen. Ernesto, der Chef der hiesigen Guides, rät uns, mit den Armen zu wedeln und laut zu brüllen, falls wir dem Tier auf dem Rückweg zu unserem Haus begegnen sollten. Laut zu brüllen scheint mir das kleinste Problem. Dass es im Chacabuco-Tal überhaupt wieder Pumas gibt, ist den Renaturierungs-Programmen von Doug Tompkins zu verdanken. Als er das Land erwarb, waren die Böden nach 100 Jahren Schafzucht ausgelaugt, der Wildtierbestand fast ausgelöscht. Die Größe seiner Ambitionen erkennen wir In den nächsten Tagen, wenn wir durch Landstriche wandern, fahren oder e-biken, die von Freiwilligen wieder mit Steppengras bepflanzt wurden, nachdem Tompkins 25.000 Schafe ausgesiedelt und 600 Kilometer Stacheldrahtzaun entfernt hatte. Mit dem Gras kehrten die Guanakos zurück, die wildlebenden Cousins der Kamele, die den Raubkatzen besonders gut schmecken. Weil Guanacos keine Hufe besitzen, stellen sie sich im Kreis um ihre Jungen auf und schreien laut, eine Vorstellung, die mich unverhofft traurig stimmt. Zwar ist auch die traumschöne Kajakfahrt zum Lago General Carrera am letzten Tag von Gedanken an Vergänglichkeit überschattet, doch stärker wirkt die Botschaft, dass alles machbar ist, wenn man nur will. Ich habe zwei Jetztzeit-Träumer und -Abenteurer entdeckt, deren Leuchtturmprojekte das Ende der Welt erhellen.
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Der Reisespezialist Windrose Finest Travel hat eine 14-tägige Chile-Rundreise zusammengestellt, die von Santiago de Chile nordwärts in die trockenste Wüste der Welt führt, die Atacama. Nach Galerie-Bummel, Shopping und Wine Tasting in der Hauptstadt warten sternklarer Himmel, das Mondtal und Geysire. Einem zweiten Stopp in Santiago folgt die Route zum südlichsten Zipfel des Landes, in den Parque Nacional Torres del Paine mit maßgeschneiderten Outdoor- Programmen. Nach einer letzten Nacht in Santiago fliegen Sie zurück, wie Sie gekommen sind: mit LAN über Madrid von/nach Frankfurt. Ab 13 290 Euro/Person im DZ. windrose.de/de-de/rundreise-chile-select